Vergessen
Der Berater hatte sich lange auf diesen Morgen vorbereitet. Er hatte den Betrieb kennengelernt, die Buchhaltung geprüft, mit den Mitarbeitern geredet, den Markt erforscht, ein Konzept erarbeitet. Zur Sanierung. Das sollte nun heute morgen vorgestellt werden. Die Powerpoint-Präsentation, der Beamer, das Notebook, die Handouts, alles war perfekt. Perfekt gekleidet und vorbereitet war der Berater.
Doch sein Auftritt geriet wirr. So wirr, daß die Firmenleitung nach einer halben Stunde den Notarzt rief. Der Arzt fand die Mitarbeiter, peinlich berührt, im Sitzungsraum vor Kaffeekannen. Ein Mitte-50-Jähriger, gut gekleidet, aber völlig desorientiert, ratlos, beunruhigt, fast panisch. Bedauernswert. Vitalzeichen normal. Vielleicht ein seltsamer Schlaganfall? Entzug? Amphetamine?
Behutsame Fragen unter Ausschluß der Öffentlichkeit: Alter, Name, Familie, Beruf bekannt. Berater. Auch der Auftrag war erinnerlich. Aber alles andere, Zeit und Ort? Wie war er hierher gekommen? Was war passiert? Warum die Aufregung? Wieso ein Arzt und Rettungssanitäter?
Im Notarztwagen immer dieselben Fragen, alle 30 Sekunden: “Bitte, Entschuldigung, wo sind wir hier? Wo fahren wir hin?” Der Arzt erklärt. Einmal, zweimal, immer wieder.
30 Sekunden später: “Bitte, Entschuldigung, wo sind wir hier? Wo fahren wir hin?” Immer im gleichen, beunruhigten Tonfall. Anscheinend vergisst er alles gleich wieder. Der Speicher wird sofort gelöscht. Nur mit Fragen nach früheren Ereignissen ist er eine Weile abzulenken, dann wieder: “Bitte, Entschuldigung, wo sind wir hier? Wo fahren wir hin?”
Später hat der Arzt immer mal wieder Patienten mit solch einer seltsamen Kurzzeit-Amnesie erlebt, immer ratlos, schwer beunruhigt, auch die Angehörigen, die immer wieder die Umstände erklären mussten.
So auch im letzten Notdienst, am Sonntag. Irgendwann fiel ihm der Name dieser Krankheit wieder ein: “Transiente globale Amnesie (TGA)” oder “Amnestische Episode”. Da konnte er die Angehörigen beruhigen. Und einen Bericht drüber schreiben.