In der ONTARGET-Studie (NEJM 2008;358:1547, Editorial, Designpublikation) wird Telmisartan 80mg gegen Ramipril 10 mg und die Kombination von beidem bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten geprüft. Sie wird natürlich als Marketingargument für simple Schlußfolgerungen zugunsten des 6x teureren Präparates genutzt – als Grund für ein paar spezielle und allgemeine Gedanken:
Eingeschlossen wurden Menschen ab 55 Jahren mit bestehender KHK, pAVK, Schlaganfall oder Diabetes mellitus. Ausschlußgründe waren u.a. Unverträglichkeit der Prüfmedikation, Herzinsuffizienz, unkontrollierter Bluthochdruck, Nierenarterienstenose und Leberfunktionsstörung. Konnte kein ACE-Hemmer genommen werden, wurde in den TRANSCEND-Arm (Telmisartan vs. Placebo, hier nicht berichtet) gewechselt.
Es wurden 29019 Patienten in einer einfach-blinden Run-in Phase bis zur halben Dosis Telmisarten+Ramipril aufdosiert. Davon konten 25620 Patienten (88%) in 700 Zentren aus 40 Ländern weltweit im Verhältnis 1:1:1 mittels eines zentralen Telefondienstes randomisiert werden. Weitere Details zur Rekrutierung, Randomisierung und Verblindung fehlen leider.
Primärer Endpunkt (PEP) war ein kombinierter Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall oder Krankenhausaufenthalt wegen Herzinsuffizenz. Ein solcher Endpunkt ist als “üblich” zu betrachten und entsprach bis Hospitalisationen dem der HOPE-Studie. Er leidet allerdings an der Kombination verschieden wertiger Ereignisse (Tod vs. Krankenhausaufenthalt) und verschieden “harten” Ereignissen. Die Subjektivität wurde durch ein zentrales Endpunktbewertung vermindert. Die genaue Endpunktdefinition versteckt sich auf der Studienwebseite. Weitere (sekundäre) Endpunkte und Subgruppen waren vorgeplant.
Statistisch ist ONTARGET so angelegt, dass erst Nicht-Unterlegenheit von Telmisartan gegen Ramipril getestest wird und dann ggf. Überlegenheit. Bei Non-Inferiority-Studien wird zuerst die Effektstärke der Vergleichssubstanz festgelegt. Hierzu wurden Daten der HOPE-Studie herangezogen. Man hat es sich aber etwas einfacher gemacht und nicht die errechnete HR von 0,775 für den Kompositendpunkt, sondern die 40. Perzentile des Schätzers, also HR 0,794 genommen. Für Nicht-Unterlegenheit wurde der Erhalt von 50% dieser schon konservativ geschätzten Wirkung gefordert. Eine strengere Definition von Nicht-Unterlegenheit hätte die Patientenzahlen massiv erhöht. Ansonsten wurde das Signifikanzniveau entsprechend adjustiert, sowie drei geplante Interimsanalysen durchgeführt.
Eine lesenwerte Übersicht zu Nicht-Unterlegenheitsstudien ist von Kaul & Diamond, Ann Intern Med. 2006;145:62 erschienen.
Die Patienten waren im Durchschnitt 66,4 Jahre alt, hauptsächlich (73%) männlich, haben einen BMI von 28 und bezeichnen sich als europäischer Ethnie (73%). Fast die Hälfte (49%) hat einen Herzinfarkt hinter sich, ein Drittel (35%) eine stabile Angina pectoris, ein Fünftel (21%) einen Schlaganfall/TIA – insgesamt 85% sind kardiovaskulär krank. An Risikofaktoren bringen 68% einen Bluthochdruck, 37% eine Diabetes mellitus mit; 12,5% sind aktive, 52% Ex-Raucher. Sie sind umfassend vorbehandelt: Thrombozytenaggregationshemmer 81%, Statine 62%, Betablocker 57%, Diuretika 28%, ACE-Hemmer 57,5%, ARB 8,6%. Der Blutdruck liegt bei run-in bei 143/82 mmHg, zur Randomisierung bei 134/77 mmHg.
Die Monotherapie-Gruppen erhielten jeweils ergänzend passendes Placebo. Die Ramipril-Medikation wurde in den ersten 2 Wochen von 5 auf 10 mg aufdosiert. Die Patienten wurden alle 6 Monate gesehen. Geplant war eine Laufzeit bis Mitte 2007, entsprechend 3,5-5,5 Jahren.
Ergebnisse: 25577 Patienten (99,8%) konnten nachverfolgt und nach dem ITT-Prinzip ausgewertet werden. Sie waren im Durchschnitt 4,7 Jahre in der Studie. Über die verlorenen Patienten wird nicht berichtet, ein Flowchart nach CONSORT wird nicht vorgelegt.
Der PEP wird von 1412 (16,5%) Patienten in der Ramipril-Gruppe, 1423 (16,7%) in der Telmisartan-Gruppe und 1386 (16,3%) in der Kombitherapie-Gruppe erreicht. Die risk ratio zwischen Ramipril und Telmisartan beträgt 1,04 [0,94-1,09]. Sie erfüllt somit das Kriterium für Nicht-Unterlegenheit, jedoch nicht das für Überlegenheit. Telmisartan erhält damit 95% [83,2-106,3%] des Effektes von Ramipril vs. Palcebo.
Der Endpunkt wird zu 43% von Tod aus kardiovaskulärer Ursache getrieben, die anderen Komponenten steuern etwa gleich viel Ereignisse bei. Keine Endpunktkomponente fällt dabei deutlich raus. Leider lassen sich die Daten aus Table 3 nicht gegenrechnen, auch die Gesamtereigniszahl lt. Fußnote (* = kann mehrfach eintreten) kann ich nicht durch Summieren kontrollieren.
Outcome | Ramipril | Telmisartan | Kombi |
PEP | 1412 (16,5%) | 1423 (16,7%) | 1386 (16,3%) |
Herzinfarkt * | 413 (4,8%) | 440 (5,2%) | 438 (5,2%) |
Schlaganfall * | 405 (4,7%) | 369 (4,3%) | 373 (4,4%) |
Hospitalisierung HF * | 354 (4,1%) | 394 (4,6%) | 332 (3,9%) |
kardiovask. Tod | 603 (7,0%) | 598 (7,0%) | 620 (7,3%) |
Tod gesamt | 1014 (11,8%) | 989 (11,5%) | 1065 (12,5%) |
Von den sekundären Endpunkten wird keiner bis auf vermehrte Nierenstörungen in der Kombi-Gruppe statistisch signifikant; ebensowenig die Subgruppenanalysen. Die per-protocol Analyse ist unauffällig minimal besser als ITT.
Die Gründe für das Absetzen der Studienmedikation werden aufgeteilt nach Hypotension, Synkope, Husten, Diarrhoe, Angioödem und Nierenfunktionseinschränkung angegeben, wobei keines dieser vorbestimmten Kriterien inhaltlich definiert war, also teils erheblicher Subjektivität ausgesetzt ist. Die Abbrecherzahlen sind wie folgt (* = Unterschied statistisch signifikant p<0,05 gegen Placebo)
Abbrecher | Ramipril | Telmisartan | Kombi |
Gesamt | 2099 (24,5%) | 1962 (23,0%) * | 2495 (29,3%) * |
Hypotension | 149 (1,7%) | 229 (2,7%) * | 406 (4,8%) * |
Synkope | 15 (0,2%) | 19 (0,2%) | 29 (0,3%) * |
Husten | 360 (4,2%) | 93 (1,1%) * | 392 (4,6%) |
Angioödem | 25 (0,3%) | 10 (0,1%) * | 18 (0,2%) |
Nierenprobleme | 60 (0,7%) | 68 (0,8%) | 94 (1,1%) * |
Die Autoren schlussfolgern, dass Telmisartan gleich wirksam ist wie Ramipril und weniger Angioödeme verursache, die Wahl aber individuell zu treffen sei. Die Kombination bringt keine Vorteile sondern nur vermehrte UAWs. Der Editorialist schließt, dass Telmisartan gleiche Vorteile wie Ramipril bietet, jedoch ARB mehr Nebenwirkungen haben und deutlich teurer sind.
Die Studie wurde vom Hersteller Boehringer Ingelheim finanziert. Alle Autoren geben potentielle Interessenkonflikte an.
Meine Bewertung dieses Megatrials: Telmisartan ist Ramipril bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten nicht überlegen (also nicht ganz “on target”), jedoch konnte der zugunsten von Telmisartan vereinfachte Nicht-Unterlegenheitsnachweis erbracht werden.
Der Verträglichkeitsvorteil ist minimal und zur Vermeidung eines UAW-bedingten Medikationsabbruchs läßt sich eine NNT von 67 errechnen. Der Vorteil besteht ganz überwiegend im verringerten Husten, also einer harmlosen, reversiblen UAW. In HOPE wird in 7,3% vs 1,8% unter Placebo deswegen abgebrochen – es betrifft also etwa jeden 18. Patienten unter Ramipril. Dieser Gesamteindruck wird durch methodische Kritikpunkt (s.o.) bestätigt. An der bisherigen Strategie, primär ACE-Hemmer und bei Unverträglichkeit ARBs einzusetzen sollte auch nach ONTARGET festgehalten werden.
Interessant ist, dass trotz besserer Blutdruckeinstellung (0,9/0,6 mmHg unter Telmisartan und 2,4/1,4 mmg unter Kombination vs. Ramipril) der PEP nicht beeinflußt wird. Die RR-Differenz schlägt sich aber in der erhöhten Anzahl an Hypotensionen und Synkopen nieder und verringert den Verträglichkeitsvoteil.
Umgekehrt wurden Blutdruckdifferenzen zugunsten der Behandlungsgruppe bisher gerne als Argument gegen die Validität einer Studie ins Feld geführt. Die Autoren errechnen selber einen hypothetischen Vorteil von 4-5% in der Kombinationsgruppe. Die ist ein neues Beispiel gegen die Nutzung von Surrogatendpunkten.
Zur Substanz Telmisartan noch zwei kurze Gedanken: Es gibt eine wichtige Interaktion mit Digoxin, wobei der Digoxinspiegel steigt (Mechanismus unbekannt). Die als vorteilhaft beworbene Halbwertszeit von 20h hat keinerlei echten Nutzen sondern ist zB im Falle von UAWs problematisch (a-t 1999;2:22).
Die Tagestherapiekosten liegen aktuell in Deutschland bei 1,07€ vs. ~0,18€.