Woher kommt der Schmerz?
Wenn es im Spiegel-Leitartikel „Woher kommt der Schmerz?“ heißt, die Ärzte im Allgemeinen und der Hausarzt im Besonderen haben zu wenig Ahnung vom Schmerz und seinen Mechanismen, und sie seien in dieser Richtung schlecht ausgebildet, so unterschreibe ich das sofort. Aber in diesem Artikel wird dem Leser etwas vorgegaukelt, und zwar die Illusion, jeden chronischen Schmerzpatienten zum Spezialisten schicken zu können. Dies setzt als allererstes voraus, es gäbe entsprechende Kapazitäten. Selbst mit der derzeitigen, im Spiegel beklagten, geringen Überweisungstätigkeit in dieser Richtung, herrschen bereits lange bis chaotische Wartezeiten.
Darüberhinaus gibt es in der Realität den paradiesischen Zustand nicht, der dem Leser des Leitartikels suggeriert wird:
Problemlose Überweisung zum Schmerzspezialisten – daraus folgt – optimale therapeutische Einordnung mit medikamentösen und psychotherapeutischen Mitteln.
In der Praxis ist beispielsweise die begleitendende Psychotherapie eines chronischen Schmerzpatienten nicht existent – mangels Masse, sprich mangels Psychotherapeuten bzw. Psychiater. Wartezeiten von einem halben Jahr sind die Regel, in der Kinderpsychiatrie liegen diese Zeiten teils über einem Jahr.
Die medikamentöse Therapie des Schmerzes durch den Spezialisten lässt überdies häufig jeden Bezug zur Realität vermissen. Patienten fühlen sich “zugedröhnt”, können nicht zur Arbeit gehen oder den Haushalt führen.
Zusammenfassend kann man feststellen: Der gesamte Spiegelartikel liegt theoretisch meistens richtig, praktisch aber im Wolkenkuckucksheim. Es ist wie seinerzeit mit Professor Grönemeyer, der im Fernsehen ungestraft jeden Bandscheibenpatienten zu sich zur minimal invasiven Operation einladen durfte und wusste, dass in seinem Terminkalender Wartezeiten von mehreren Jahren herrschen.
Lange Wartezeiten bedeutet nicht allein, dass der Patient nur zu warten hat, bis die optimale Therapie naht. Lange Wartezeiten bedeutet in der Realität, es wird anderes versucht, viel Provisorisches, Schädliches und manchmal Hilfreiches. Beschwerden lassen sich nicht verschieben.
Einen Punkt lässt der Spiegelartikel völlig außer Acht: Die Behandlung jeden chronischen Schmerzes oder auch nur potentiell chronischen Schmerzes durch den Spezialisten würde unglaublich teuer werden. Und Geld ist nun wirklich Mangelware im Gesundheitswesen.
Medizinische Artikel vom Spiegel hatten schon besseres Niveau.