Das vorausschauende Leben

Wie man in ausweglosen Situationen Hoffnung findet

Eine finanzielle Notlage, eine Beziehung kurz vor dem Auseinanderbrechen, eine Erkrankung, die vielleicht tödlich endet – Hoffnung zu haben, wenn eigentlich alles dagegen spricht, ist eine hohe Kunst. Oft scheint es eine Frage des Charakters zu sein, ob einem Menschen diese Kunst gelingt. Was kann man tun, wenn man sich zu schwach fühlt? Wenn man keine Hoffnung hat und auch nicht weiß, woher man sie nehmen soll?

Ein Problem mit der Hoffnung ist, dass sie sich erst so recht einzustellen scheint, wenn unser Leben bereits ganz konkret auf eine Besserung der Situation hinweist – wenn das Bankkonto sich langsam füllt, wenn die Liebe plötzlich wieder aufflammt oder wenn die letzte Nachkontrolle auf ein Schrumpfen des Tumors hindeutet. Doch es gibt Möglichkeiten, Hoffnung auch dann zu erzeugen, wenn scheinbar alle Zeichen anders stehen.

So tun als ob

Es gibt Menschen, die das Schlimmste durchgestanden haben und selbst im Angesicht des Ruins und des Todes Hoffnung fanden und am Ende schließlich überlebten und sogar stärker aus Ihrer Notlage hervorgingen. Von diesen Menschen können wir uns zeigen lassen, wie das geht mit dem Hoffnung finden. Eine ganz konkrete Methode möchte ich Ihnen heute vorstellen. Ich nenne sie "Das vorausschauende Leben".

Das oben geschilderte Problem, dass sich Hoffnung meist erst einstellt, wenn sich tatsächlich eine Besserung ankündigt, beinhaltet gleichzeitig die Lösung des Problems. Wir können unser Leben nämlich zu gewissen Teilen so gestalten, als ob diese Besserungen schon längst eingetreten wären. Frei nach dem Motto: Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg eben zum Propheten.

Bei meiner Erkrankung und dem damit verbundenen Gefühl der Hoffnungslosigkeit halfen mir vor allem zwei Dinge. Erstens die weisen Worte von Menschen, die aus eigener Erfahrung wussten, dass auch mit einer schweren Erkrankung wieder gesund werden kann, und zweitens mein eigenes Tun, so als wäre ich schon längst gesund. Letzteres erscheint fast wie Magie, wenn es zur Anwendung kommt: Anstatt darauf zu warten, dass man wieder Hoffnung verspürt um dementsprechend zu handeln, handelt man einfach zuerst und regt somit die in einem innewohnende Hoffnung an, sich über das Leben auszubreiten – der umgekehrte Weg also.

Move your feet and your head will follow!

Nehmen wir Folgendes an. Sie haben einen Beruf, mit dem Sie unzufrieden sind, einen langweiligen, unterbezahlten und zermürbenden Bürojob meinetwegen. Nun könnten Sie Ihr ganzes Leben lang einfach nur davon träumen, dass Sie ein beruflich erfülltes Leben führen, und sich dennoch weiterhin jeden Tag ins Büro quälen. Das wäre der "normale" und allgemein übliche Weg, also auf die Hoffnung (und den Mut zur Veränderung) zu warten um erst dann zu handeln – in der Regel dauert das sehr, sehr lange und passiert in vielen Fällen überhaupt nicht. Viel schlauer und ungleich effizienter ist es hingegen, wo möglich sofort zu handeln und kleine Veränderungen in die Wege zu leiten, die Stück für Stück das Gefühl erzeugen, als wären Sie schon längst an Ihrem Ziel angelangt. Ihre Beine laufen sozusagen vor, Ihr Kopf und Ihre innere Haltung folgen automatisch.

Die Methode des vorausschauenden Lebens funktioniert genau nach diesem Prinizip: Setzen Sie sich hin und schreiben Sie mindestens fünf Dinge auf, die Sie in ihrem alltäglichen Leben anders machen würden, wenn Sie Ihren Traumjob, Ihre Traumbeziehung oder ihre Traumgesundheit bereits hätten. Wichtig ist dabei nicht so sehr, dass sie eine konkrete Vorstellung von Ihrer Zukunft und ihrem Traumleben haben (auch wenn das sicher förderlich ist), sondern dass die Punkte auf ihrer Liste eher allgemeiner und alltäglicher Natur sind und sich bereits jetzt problemlos in Ihr Leben integrieren lassen. Notieren Sie außerdem, warum Sie diese Dinge im Fall Ihrer Wunscherfüllung genau so tun würden. Das ist wichtig, um die eigene Motivation zu beleuchten und nicht zum Beispiel aus Trotz oder aufgrund des Einflusses anderer zu handeln. Außerdem werden Sie sich so der Gefühle bewusst, die mit dieser Handlung einhergehen.

Ein konkretes Beispiel

Erst kürzlich stand ich vor einer beruflichen Neurorientierung. Mein neuer Job schien eine echte Herausforderung und es könnte mitunter einige Zeit dauern, bis ich hier Fuß fassen und erfolgreich sein würde. Ich nahm mir also ein DIN A4-Blatt und schrieb eine Liste mit Dingen, die ich in meinem Alltag anders machen würde, wenn ich bereits mein Ziel erreicht und mich in meinem neuen Traumjob etabliert hätte. Hier meine Liste:

1. Jeden Tag mindestens eine Stunde lesen.
Warum: Da ich in meinem neuen Beruf bereits etabliert wäre, hätte ich genug Freizeit und wäre entspannt genug für diese tägliche Lesestunde. Zum anderen sind Lesen und Weiterbildung ganz wichtig für meinen neuen Job. Neben der Entspannung wäre das Lesen also auch Teil meines Erfolgs.

2. Jeden Morgen eine halbe Stunde spazieren gehen.
Warum: Ich wäre nicht so gehetzt, könnte an der frischen Luft entspannen und zu neuen Kräften kommen. Außerdem inspiriert mich die Natur und es fällt mir leichter, hier meine Gedanken zu ordnen. Mein neuer Job und meine Zielstrebigkeit gäben mir die innere Ruhe und Ausgeglichenheit für "ziellose" Spaziergänge.

3. Das Essen genießen und nicht so gehetzt sein.
Warum: Mein "Problem", wie ich es derzeit noch sehe (berufliche und finanzielle Unsicherheit), wäre gelöst und ich müsste mir nicht in jeder freien Minute Gedanken darüber machen. Ich wäre  beim Essen viel entspannter, würde es gründlicher kauen und mehr genießen.

4. Mehr Kontakt zu Freunden, alten Bekannten und Fremden
Warum: Da mein Wunsch ja schon erfüllt wäre, hätte ich wieder mehr "gefühlte" Zeit, mich auch anderen Menschen zu widmen. Ich wäre nicht mehr so eingeigelt und von meinen Problemen in Bann genommen. Außerdem sind Kommunikation und ein gut funktionierendes Netzwerk sehr wichtig in meinem neuen Beruf und wollen beide gepflegt werden.

5. Jeden Abend meine ungeteilte Aufmerksamkeit der Beziehung zu meiner Freundin widmen.
Warum: Ich wäre abends total entspannt, weil ich mit meinem Tagewerk zufrieden bin. Mein beruflicher Erfolg würde sich auch positiv auf mein Privatleben und meine Beziehung auswirken. Ich wäre mir auch ständig bewusst, dass umgekehrt eine erfüllte Beziehung mein Berufsleben positiv beeinflusst.

Nachdem ich meine Liste geschrieben hatte, wählte ich einen der Punkte daraus, und zwar den, der mir in meiner momentanen Lage am erfreulichsten und am leichtesten umzusetzen schien – jeden Tag eine Stunde lesen. Ich gab mir eine Woche Zeit, diese neue Handlung in mein Leben zu integrieren. Nachdem eine Woche vergangen war und mir das tägliche Lesen langsam zur Gewohnheit geworden war, nahm ich mir den nächsten Punkt vor und integrierte auch diesen in mein Leben.

Obwohl die Veränderungen an sich relativ klein sind und mit meinem alten oder neuen Beruf nur indirekt zu tun hatten, machten sie sich auch und gerade hier bemerkbar. Ich fühle mich, zunehmend hoffnunsfroher und sicherer mit meiner Entscheidung. Meine Arbeit scheint nun endlich Früchte zu tragen. Mit kleinen, aber effektiven Schritten steuerte ich so auf das Leben zu, das ich mir immer gewünscht habe.

Hoffen Sie nicht, handeln Sie!

Machen Sie es ebenso mit ihrer Liste, bis Sie sämtliche darauf notierten Handlungen umgesetzt haben. Dann schreiben Sie eine neue Liste. Die aktuell zu integrierende Handlung können Sie sich auf kleine Zettel schreiben und in Ihrer Wohnung, an Ihrem Arbeitsplatz oder in Ihrem Portemonnaie verteilen. So werden Sie immer wieder an ihre Umsetzung erinnert. Mit jeder neuen Liste werden Sie merken, dass Ihre darauf notierten Wunschhandlungen mutiger und einschneidender werden. Das ist gut so und zeigt, wie sich Ihre innere Haltung immer mehr Ihrem Tun anpasst.

Was ich hier anhand meiner beruflichen Situation demonstriert habe, funktioniert natürlich ebenso in allen anderen Lebensbereichen. Auch wenn ich damals die Methode des vorausschauenden Lebens noch nicht kannte, habe ich sie im Fall meiner Krebsdiagnose zwar unbewusst, aber ebenso gewinnbringend eingesetzt. Meine Liste hätte damals in Kurzform vielleicht so ausgesehen:

1. Jeden Tag etwas Unangenehmes tun, um meine Ängste anzugehen.
2. Täglich 30 Minuten Meditieren, um ausgeglichener zu werden.
3. Mehrmals wöchentlich Sport treiben, um körperlich fit zu werden und das Gefühl des Erfolgs zu erzeugen.
4. Hin und wieder Nein oder Ja sagen , obwohl es mich eher zum Gegenteil drängt, um die Angst vor Zurückweisung und Konfrontation zu überwinden.
usw. usf.

Schieben Sie es nicht auf die lange Bank. Ganz gleich ob Sie wieder gesund oder geliebt werden, erfolgreich oder weniger ängstlich sein möchten – das vorausschauende Leben können Sie sofort leben. Tun Sie es jetzt!

 

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!
Andreas Thies

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