Patientenverfügung II

Heute nun zu den angekündigten Fallbeispielen aus der Praxis:
Fall 1: Ein 80-jähriger Patient erleidet seinen dritten Schlaganfall und fällt ins Koma. Nach seinem zweiten Schlaganfall hatte er sich soweit erholt, dass er eine Patientenverfügung ausstellen konnte. Im Kreise der Familie hat er besprochen, dass er die Tortur eines Schlaganfalls und der anschließenden Krankenhausbehandlung nicht nochmal überleben möchte. Seine Einstellung hat er im Feld Bemerkungen auf dem Verfügungsformular schriftlich zusammengefasst. Seinen Hausarzt hat er ebenfalls informiert, der überdies die geistige Klarheit seinen Patienten auf dem Formular bestätigt hat. Der Vorgang lag vier Monate zurück als den Patienten der dritte Schlaganfall ereilte. Der Hausarzt kam und verzichtete auf eine Einweisung ins Krankenhaus. Mit einfachen pflegerischen Maßnahmen überlebte der Patient noch fünf Tage, bevor er friedlich im Kreise seiner Lieben entschlief.
Fall 2: Eine dreiundsiebzigjährige Patientin erleidet einen Autounfall mit schweren Schädelverletzungen. Sie liegt danach bewusstlos auf einer neurochirurgischen Intensivstation und wird entsprechend intensivmedizinsch betreut. Die Aussichten der Patientin auf Erwachen, gar auf Heilung, sind unklar.
In ihren Unterlagen findet sich auf einem Kärtchen ein Hinweis auf eine vorhandene Patientenverfügung. Ehemann und Tochter bestätigen das, wissen aber nicht, was das Formular im Einzelnen enthält. Der Ehemann will in den Unterlagen der Patientin nachsehen. Ein Rückruf der Stationsärztin beim Hausarzt bringt keine weiteren Erkenntnisse. Der Hausarzt weiß nichts von einer Patientenverfügung
Tags darauf überreicht die Tochter der behandelnden Ärztin einen Umschlag mit einer vorgedruckten Patientenverfügung. Ein gängiger Text, unter anderem mit dem Verzicht auf lebensverlängernd Maßnahmen im Falle des unwiderruflichen Komas und ein Verzicht auf intensivmedizinische Maßnahmen. Der Vordruck ist von der Patientin sechs Jahre zuvor unterschrieben worden, enthält aber sonst keinen handschriftlichen Vermerk.
Zu Fall 1: Der Fall erscheint klar, ist vom Patienten gut dokumentiert und mit der Familie, sowie dem Hausarzt besprochen. Die einzige offensichtliche Schwierigkeit besteht für die Angehörigen darin, sich tatsächlich nach den Wünschen des Patienten zu richten. Das ist schwieriger als man denkt, denn geistige Vorbereitung auf eine Krise ist etwas anderes als die praktische Auseinandersetzung damit.
Eine weitere Hürde in diesem Fall sind die zeitlichen Umstände. Ist der Hausarzt erreichbar (nachts, sonntags, Urlaub usw.)? Wie verhält sich der diensthabende Notarzt?
a) er hält sich an die Vorgaben, damit wäre alles in Ordnung
b) er weist den Patienten im Widerspruch zur Verfügung ins Krankenhaus ein. Wie wiederum verfahren dann die Krankenhausärzte?
Variante b wird heutzutage zur Seltenheit, wenn die Umstände so gut dokumentiert sind, wie bei diesem Patienten. Ärztliche „Hilfeleistung“ geriete hierbei in den Bereich der Körperverletzung. Aber, ich wiederhole mich, es kommt dabei sehr auf die Art und Weise an, wie eine Patientenverfügung erstellt und erarbeitet wurde .
Zu Fall 2: Die Patientenverfügung in diesem Fall ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Was sollte sie regulieren? Wann ist ein Koma unwiderruflich? Was heißt intensivmedizinische Therapie? Und was soll in diesem speziellen Fall ein Formular wert sein, das sechs Jahre alt ist und weniger persönliche Note enthält als ein Kurantrag oder ein Antrag auf einen Schwerbehindertenausweis. Dabei geht es in diesem Fall um das eigene Leben und Sterben. Die nächsten Angehörigen der Patientin und der Hausarzt wissen nichts von ihrer Einstellung, was Sterben und Tod betrifft.

Die Beispiele sind sehr gegensätzlich, aber sie zeigen die Bandbreite der derzeitigen Praxis, wie sich die Situation um eine Patientenverfügung darstellen kann. Dazu kämen noch die verschiedenen Verhaltensweisen und Einstellungen der behandelnden Ärzte und der nahen Angehörigen. Viel Spielraum für die Art und Weise, wie unser Lebensende aussehen soll, und wie es vorab reguliert werden kann.
Das führt uns zu den nächsten Artikeln in dieser Serie. Was ist eine Patientenverfügung? Was kann und soll sie leisten? Wie soll sie aussehen?

 

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