Ab 2009 wird nach und nach in ganz Deutschland die elektronische Gesundheitskarte eingeführt. Auf ihrem Chip werden alle wesentlichen Informationen der Versicherten (Patienten) abgespeichert, inklusive medizinischer Details.
Die Meinung eines Hausarztes
Als Hausarzt spürt man, wie überall im Leben, dass die Moderne Einzug hält. Oft genug profitieren wir alle davon. Aber in letzter Zeit hören wir immerwieder von Datenskandalen, von denen wir uns eigentlich alle hätten denken können, dass es sie gibt. Schließlich haben wir alle immerwieder seltsame Post im realen wie im elektronischen Briefkasten. Was machbar ist, wird gemacht. Was zu verkaufen ist, wird verkauft. Also auch Adressen, persönliche Daten und demnächst medizinische Details. Moral? Es gibt selbstverständlich eine Moral in unserer Gesellschaft, die Moral des Einzelnen und die Moral von Vielen. Aber gibt es die Moral der Masse?
Intime Details
Wenn zigtausend Banker loyal mit den Kundendaten umgehen oder zigtausend Postler, heißt das doch nicht, dass es nicht auch schwarze Schafe gibt. Und wer glaubt wirklich an die Moral einer so undefinierten Masse, wie Ärzte, Pflegepersonal, Krankenkassenangestellte und Apotheker es sind. Sie alle werden mit unseren Daten auf der elektronischen Gesundheitskarte zu tun haben. Das sind hunderttausende Menschen. Und jeder Einzelne soll ein guter Mensch sein, der selbstverständlich intime Daten geheimhält?
Daran mag glauben, wer will. Und es geht nicht um Daten, wie Adresse, Geburtstag, Familienstand, Kaufkraft und Konsumvorlieben. Es geht um intimste Details neben den persönlichen Daten. Auf der elektronischen Gesundheitskarte werde ich als Hausarzt Ihre Erkrankungen erkennen können, ihre Medikation, die Anzahl der Röntgenaufnahmen, Ihren Impfstatus, Ihre Krankenhausaufenthalte. Schön, könnten Sie sagen, dass sind doch wertvolle Informationen für einen Arzt. Sicher. Wenn die Informationen da bleiben, wo sie hingehören.
Für die Zukunft gebranntmarkt?
Es geht dabei um Ihre Hämorrhoiden, Ihre Potenz, Ihre Depression, Ihre Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit, die Krankheiten in Ihrer Familie. Wie lange wird es dauern, bis Ihr potentieller neuer Arbeitgeber, bei dem Sie sich bewerben, von Ihrem Aufenthalt in einer psychatrischen Klinik erfährt? Sie haben den Verlust eines lieben Menschen nicht verkraftet, haben zuviel Tabletten geschluckt, und diese Information wird auf Ihrem Chip eingebrannt sein – auf ewig?
Ich sage Ihnen ein Beispiel aus dem Hier und Jetzt. In unserer Praxis arbeiten wir mit einem gut funktionierenden Computersystem. Die Software ist zuverlässig und aktuell. Aber wenn ich mal eine eingegebene Dauerdiagnose löschen will, weil die Diagnose doch nicht so von Dauer war, stoße ich an die Grenzen der Elektronik. Es geht irgendwie, aber es ist unglaublich kompliziert. Glauben Sie, die Eingaben auf einer elektronischen Gesundheitskarte sind flexibler zu handhaben und man wird auf die Wünsche des Einzelnen eingehen?
Warum regt sich kein Protest?
Es gäbe unzählige Beispiele, die aufzeigen können, wie fatal es sein kann, wenn medizinische Informationen in falsche Hände kommen. Wir Ärzte sind gehalten, die Schweigepflicht als hohes Gut ganz oben an zu stellen. In Zukunft wird jeder Patient mit seinen Informationen hausieren gehen, von der Arztpraxis zur Krankenkasse, von der Apotheke zum Krankenhaus, vom Frauenarzt zum Masseur, vom Nervenarzt zum ambulanten Pflegedienst.
Einige Ärzte entrüsten sich, aber ich habe nichts von einer Entrüstung der Patienten gehört. Warum sind Sie nicht auf der Straße und protestieren gegen big brother? Ja, genau! Sie!
Als Hausarzt und Privatmensch genieße ich oft genug den technischen Fortschritt (siehe Hausarzt-Blog), aber in Bezug auf die elektronische Gesundheitskarte fällt mir der Vergleich zum Atomkraftwerk ein. Wir Menschen erfinden etwas, setzen es ein und haben keine Ahnung, wie wir mit den Folgen zurechtkommen sollen.
Die elektronische Gesundheitskarte mit intimsten Informationen ist erst dann einsetzbar, wenn wir die intimsten Informationen auch sicher schützen können. Das scheint mir noch ein weiter Weg, der sicher nicht 2009 zu Ende geht.