Dr. Kunze hört (nicht) auf 8

Februar 2009
Ärztefortbildung
Hausarzt Dr. med. Anselm Kunze schlenderte durchs Foyer auf der Suche nach einer Tasse Kaffee. Weiter hinten erkannte er die Vertreterin der Firma rondopharm, die ihn seit Jahren in der Praxis besuchte. Sie winkte aufgeregt und stand inmitten der Tische mit dem üppigen Buffet.
„Nun, wie hat Ihnen der Vortrag gefallen, Herr Doktor?“
„Ganz ausgezeichnet. Sehr interessant und vor allem sehr gut vorgetragen. Ich gratuliere zu diesem Referenten und danke nochmals für die Einladung, Frau Heinemann.“
Dr. Kunze war froh über das Namensschild am Revers, und die Pharmareferentin schien sich wie ein Kind über Lob und Dank zu freuen. Hausarzt Dr. Kunze war noch vom alten Schlag und wirklich dankbar für eine Veranstaltung, die bestens organisiert und überdies beinahe kostenlos war. Außerdem konnte er eine Auffrischung seiner Kenntnisse, was die Bluthochdrucktherapie betraf, gut gebrauchen.
Mit einer Tasse Kaffee in der einen und einem Teller voll Antipasti in der anderen Hand lächelte er der adretten Dame zu und schlenderte weiter. Er sah sich in der imposanten Halle um, als wäre er zum ersten Mal in einem First-class-Hotel. Schließlich gesellte er sich zu einer Dreiergruppe von Arztkollegen an einem der Stehtische. Schüchterner als er sonst im Leben war, grüßte er in die Runde, und zwei Damen und ein Herr nickten zurück. Er lauschte schweigend ihrem Gespräch. Als er begriff, dass es um die letzte Honorarabrechnung ging, zog er weiter. Das Thema Verdienst als Gesprächsthema unter Ärzten hing ihm zum Hals raus. Im Parkhauskeller standen Mercedes, BMW, Jaguar und Porsche in einer Reihe und zwei, drei Stockwerke höher, bei Tischgesprächen mit Edelschnittchen, schien es ums nackte Überleben zu gehen.
Er passierte einen der gedeckten Tische und nahm sich ein Lachsbrötchen, dazu eine Cola. Er schlenderte hinüber zu einem fein geschwungenen Geländer mit Blick in das Atrium. Unten stand ein riesiges Mühlrad und wies daraufhin, was ein Teil dieses Hotels einmal gewesen war. Eine Reihe Arztkollegen neben ihm diskutierten angeregt. Mit Akupunktur und Sauerstofftherapie sei auch nicht mehr viel zu verdienen. Dr. Kunze bummelte weiter. Er ließ sich noch einen Kaffee einschenken und drapierte ein paar exquisite Kekse auf der Untertasse. Durch die offene Balkontür schritt er nach draußen für ein paar Atemzüge frischer Luft. In ein paar Minuten würde der Vortrag im Saal weitergehen.
Der Blick über das Land war atemberaubend schön, saftige Wiesen voraus, links und rechts Wald und in der Ferne eine alte Bauernkate. Neben ihm ging es um das Thema Honorarrückforderungen.
„Das ist eine Schweinerei. Geld, das einem zusteht, wird einem wieder weggenommen. Aber da haben die Herren sich geschnitten, ich werde…“
Was sein Arztkollege unternehmen würde, bekam Dr. Kunze nicht mehr mit, er kehrte in den Saal zurück, der sich langsam füllte.
Wenige Minuten später wurde der Raum abgedunkelt, ein neuer Referent klopfte auf sein Minimikrophon am Jackettkragen und begrüßte die versammelte Ärzteschaft.
„Guten Tag, meine Damen und Herren. Sie haben von meinem Vorredner das Neueste in der Bluthochdrucktherapie erfahren. Nun wollen wir aber zu den wichtigen Dingen des Lebens kommen.“
Allgemeines Gelächter. Dr. Kunze war verwirrt. Er hatte das Programm nicht komplett gelesen und sich auf die Auskünfte der Pharmavertreterin verlassen. Bluthochdruck war das Thema.
„Wie können wir mit einem verbesserten Angebot für die Patienten Ihr Honorar verbessern?“
Wieder lachten alle im Raum.
Nein, nicht alle. Einer ging stumm.

 

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