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Pfizer hält Studiendaten unter Verschluss
Pfizer weigert sich, dem IQWiG seine Studiendaten zu Edronax® vollständig zur Verfügung zu stellen. Markus Grill für Spiegel Online:
Die Vorgehensweise ist – gerade wenn es um Medikamente für die Psychiatrie geht – offenbar eher die Regel aus die Ausnahme. Ohne den Publikationsbias ist hier ein Nutzen gegenüber Plazebo häufig schwer oder überhaupt nicht mehr darstellbar. Weiterhin drängt sich der Verdacht auf, dass schwerwiegende Nebenwirkungen auf diese Weise unter dem Tisch gehalten werden sollen.
Edronax® ist dabei mit wenigen Millionen Euro Umsatz pro Jahr in Deutschland im Vergleich etwa zu “Blockbustern” wie Memantine (Axura®) von Merz nur ein ganz kleiner Fisch. Auch hier stand dem IQWiG zur Nutzenbewertung nur ein Teil der vorhandenen Daten zur Verfügung:
Auch die Aussagekraft der vier ausgewerteten Studien ist indes eingeschränkt. Denn bei allen vier Vergleichen wurden die Ergebnisse zu einzelnen Therapiezielen nicht oder nur unvollständig veröffentlicht. Trotz einer Anfrage des IQWiG nach einer umfassenden Ergebnisdokumentation wurde diese nur zum Teil übermittelt. Das gilt beispielsweise für alle Daten, die Auskunft geben könnten über die Notwendigkeit einer Aufnahme in ein Pflegeheim.[…]
Unklar bleibt nicht nur der Nutzen, sondern auch der mögliche Schaden von Memantin, da die verfügbaren Risikodaten bei der Therapie zusammen mit Donepezil nicht der deutschen Zulassungssituation entsprechen und insofern lückenhaft sind.[…]
Angesichts der lückenhaften Datenlage ziehen die Wissenschaftler das vorläufige Fazit, dass der Nutzen von Memantin für die Behandlung der moderaten bis schweren Alzheimer Demenz nicht belegt ist.
Innovation und Nutzen
Innovation ist das Mantra, das von allen an der Gesundheitspolitik Beteiligten gemurmelt wird, wenn es um die Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten geht. Für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gelingt “medizinischer Fortschritt nur mit Innovationen, die auch zum Patienten gelangen”, für den GKV-Spitzenverband muss “für die Versicherten auch in Zukunft die Teilhabe am medizinischen Fortschritt und an innovativen Leistungen sicher sein”, ein Positionspapier der Konrad-Adenauer-Stiftung fordert “von dem künftigen Ordnungsrahmen, dass er Freiräume schafft, damit neue Ansätze und innovative Konzepte eine Chance erhalten”. Schon im ersten Satz zum Thema Gesundheit versprechen CDU und FDP im Koalitionsvertrag “Wir werden das deutsche Gesundheitswesen innovationsfreundlich, leistungsgerecht und demographiefest gestalten”.
Da wird ein Konzept zelebriert, das anachronistisch wirkt. Nur ein freier Wettbewerb und möglichst wenig regulierter Markt bietet genügend Anreize für Investitionen, die am Ende zu neuen Produkten und Dienstleistungen, und zu Therapien für bisher ungelöste Gesundheitsprobleme führen. Der Nutzen einer Innovation soll sich möglichst am Markt zeigen. Nutzenbewertungen und andere regulatorische Eingriffe sind des Teufels. Das mündet in abstrusen Forderungen, wie vom BDI, dass innovative Produkte auch dann von den gesetzlichen Kassen finanziert werden müssten, wenn es erhebliche Zweifel an dem therapeuthischen Zusatznutzen gegenüber preiswerteren Medikamenten gäbe. Erst wenn sich der Nutzen am Markt nach ein paar Jahren nicht zeigt, könnte den Krankenkassen frei gestellt werden, auf eine Erstattung zu verzichten.
Zweifel, dass die Gleichung “Erstattung und Bezahlung fördert die Entwicklung neuer Medikamente” nicht aufgeht, hat erst vor wenigen Monaten eine Studie von Donald Light, Gastprofessor an der Stanford-University, gesät. Light hatte mit seiner Untersuchung für erhebliche Unruhe und Diskussionen in der Pharmabranche gesorgt.
Für den Wissenschaftler bietet der europäische Weg, den Nutzen neuer Medikamente zu bewerten und höhere Preise nur zu akzeptieren, wenn das Medikament besser ist, als schon auf dem Markt befindliche, mehr Anreize zur Entwicklung von Innovationen, als der freie Markt in den USA, auf dem hohe Preise für neue Arzneimittel unabhängig vom Zusatznutzen gezahlt werden.
Light hatte die Daten einer von AstraZeneca finanzierten Studie aus dem Jahr 2006 nochmals analysiert, in der die Autoren durch die Untersuchung von klinischen Studien und Veröffentlichungen zwischen 1982 bis 2003 zum Schluss gekommen waren, dass US-Unternehmen erfolgreicher als europäische Firmen echte Innovationen, Biotech-Medikamente und Arzneimittel für seltene Erkrankungen auf den Markt bringen.
Mit seiner qualifizierteren Auswertung der Entwicklung von neuen Wirkstoffen, die dies in Beziehung zu Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den USA, Europa und Japan setzte, konnte er zeigen, dass stattdessen europäische Pharmaunternehmen eine höhere Anzahl von neuen Medikamenten entwickelt hatten, die erste in ihrer Wirkstoffklase waren, als US-Firmen. Während zwischen 1982 und 1992 die Produktivität der Forschung vergleichbar war, stieg die Produktivität in Europa in den folgenden zehn Jahren um 30% an, hingegen fiel diese in den USA um 26% ab. Europäische Pharmaunternehmen brachten nicht nur mehr Produkte heraus, sondern auch mit weniger Geld. Obwohl die Preise für patentgeschützte Arzneimittel auf dem alten Kontinent im Schnitt halb so hoch sind – somit auch die Einnahmen, genügte dies für stabile und erfolgreiche Aufwendungen in die Forschung.
Als Erklärung zitiert Light Studien, nach denen in den vergangenen 40 Jahren nur 11-15% der neuen Medikamente einen echten klinischen Vorteil zeigen konnten und nicht nur Scheininnovationen waren, deren Erfolg vom Marketing abhängt. Die hohen Arzneimittelpreise in den USA ermöglichten es den Unternehmen, durch Marketingkosten auch “me-too”-Medikament zum wirtschaftlichen Erfolg zu führen, obwohl sie dem Patienten keinen zusätzlichen Vorteil bringen.
Unterstützend könnte man auch die Marketingausgaben betrachten. Nach Zulassung der Endverbraucherwerbung in den USA stiegen die Ausgaben für Medikamente um 84% von 1993 bis 1998. Insgesamt sind die Ausgaben nur für Endverbraucherwerbung in den USA von 55 Millionen Dollar in 1991 auf 4,7 Milliarden Dollar in 2008 explodiert, alleine den vergangenen 10 Jahren eine Vervierfachung. Dies sind jedoch lediglich ein Zehntel der Gesamtausgaben für das Pillenmarketing in den USA.
Von Branchenvertretern werden die Ergebnisse von Donald Light ernst genommen. Die Pharmaindustrie ist dringend auf neue innovative Medikamente angewiesen. Die forschenden Pharmaunternehmen kämpfen mit erodierenden Umsätzen in den nächsten Jahren durch den Patentauslauf von Blockbustern. So wird etwa der Pharmakonzern Lilly über die Hälfte seines Umsatzes in den nächsten vier Jahren einbüssen.
Helfen soll die Erschliessung neuer Märkte. In 2007 wurden noch 45,9% der weltweiten Umsätze mit Arzneimitteln in den USA erwirtschaftet, fast ein Drittel in Europa. Eine Steigerung wird dort in Zukunft kaum zu erwarten sein. Die Pharmaindustrie setzt daher auf Patienten in Asien, Osteuropa sowie Südamerika. Alleine die sieben Länder Brasilien, China, Indien, Mexico, Russland, Südkorea und die Türkei vereinen 2009 über die Hälfte des globalen Wachstums. China wird dieses Jahr zum fünftgrössten Arzneimittelmarkt werden, 2013 soll das Reich der Mitte sogar Deutschland überholt haben. Diese Länder sind jedoch auch Forschungs-Konkurrenten und nicht nur Absatzmärkte.
Ein Grund mehr, die Effizienz der Forschung zu verbessern.
Auch wenn der Wunsch der Forschungsministerin, dass Deutschland wieder zur “Apotheke der Welt” werden soll, nicht von dieser Welt ist, muss sich die Forschung an den Bedingungen des Weltmarktes orientieren. Für Arzneimittel und Medizintechnik ist das nicht der freie Markt, sondern ein regulierter, in dem Behörden, Krankenversicherungen, aber auch Ärzte und Patienten, Entscheidungen in Zukunft noch viel mehr an Evidenz, Kosten und Nutzen festmachen werden.
Gegensätze ziehen sich an!? In Arztpraxen nicht zwangsläufig / Eine Fall-Studie
Dr. K. und Dr. M arbeiten seit drei Jahren in einer Praxisgemeinschaft zusammen, Sie werden dabei von 3 Vollzeit- und 2 Teilzeitkräften unterstützt. Seit gut einem Jahr läuft die Praxis – wie die beiden Mediziner es beschreiben – nicht mehr “rund”. Eine Reihe von Stammpatienten hat die Praxis verlassen, im Tagesablauf kommt es immer häufiger […]