Gastbeitrag: Pandemieroutine – ein Zwischenruf im Getöse

Die Arbeit auf einer gefäßchirurgischen Station ist nicht immer sehr erbaulich und hier in Frankreich führt der Leidensweg von Diabetikern oder Rauchern noch oft zur Amputation eines Beines. So stehe ich auch an diesem Morgen vor einer netten, älteren Dame, der dieses schlimme Schicksal bevorsteht. Im Gespräch mit Ihr erfahre ich, dass es nicht etwa die Risiken der bevorstehenden Operation sind, oder die Furcht in ihrer neuen Lage nicht mehr zurecht zu kommen, die sie an diesem Morgen so besorgt stimmen. Nein, ihre erste Frage ist, wie man sich vor der Schweinegrippe schützen kann!

Die Risikowahrnehmung der Menschen scheint irgendwie verschoben zu sein…

Wen wundert’s?

Während die WHO die Pandemiewarnungen täglich um halbe Punkte anhebt, gießen die Medien weiteres Öl ins Strohfeuer der allgemeinen Hysterie. Wenn man sich die jüngere Geschichte ansieht, ist die Menschheit laut öffentlicher Berichterstattung schon mindestens dreimal ausgelöscht wurden: BSE in den Neunzigern, SARS 2002 und nun die Schweinegrippe. Mit großer Lust reden Zeitungen und Nachrichten die Bevölkerung auch dieses Mal an den Abgrund und darüber hinaus! Fast pandemischer als die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus sind dabei die Meldungen darüber.

Die Ausschlachtung der Schweineseuche – im wörtlichen Sinne – folgt auf dem Fuße: In Ägypten werden Schweineherden ausgelöscht, ohne dass ein einziger bekannter Fall des Virus aufgetreten ist.

Ein nüchterner Blick auf die größten Killer unserer Gesellschaft enthüllt Überraschendes: Der kleine, unscheinbare Bruder von H1N1 – die banale Virusgrippe – forderte im Jahre 2006 allein 15.000 Tote. Großes Unheil droht auch daheim: Im Haushalt verunglückten allein 12.000 Personen tödlich. Die Haushaltsleiter, der vertraute Feind…

Man mag einwenden, dass öffentliches Interesse nun mal nur mit etwas Zuspitzung zu erreichen ist. Möglich, Dennoch ist es auch Aufgabe der Medien und der Politik ein langfristiges Bewusstsein für die dauerhaften Geißeln der Menschheit zu schaffen: Diabetes und Hyperteonie sind die langfristigen Gefahren, die es anzugehen gilt. Stattdessen irrlichtert man von einer Schreckensmeldung  zur nächsten und sieht vor lauter Virus die Volkskrankheiten nicht.

Wohlgemerkt, wir brauchen dringend sachliche Berichterstattung zu drohenden Gefahren. Niemand will Sicherheitsvorkehrungen und angemessene Reaktionen auf die Bedrohung verhindern. Aber in einer Zeit, in der alles, was irgendwie im Großbereich “Gen-Rinderwahn-Virus” angesiedelt ist, von der Öffentlichkeit als zutiefst apokalyptisch wahrgenommen wird, gilt Sicherheitsstufe S3 beim Verfassen einer Meldung.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn die aktuelle Panik uns für das Thema Gesundheit im Allgemeinen sensibilisieren könnte. Noch schöner wäre es, wenn die Grippe Ihre medialen Spätsymptome in einer nachhaltigeren Berichterstattung zu anderen, größeren Gefahren entfalten könnte.

Ein frommer Wunsch! Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die heißen Eisen von Impfung bis zur Krebsvorsorge weiter liegen bleiben.

Bis zum nächsten Virus.

pascal1

Pascal Johann ist Lokalredakteur für Tübingen

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