Ärzte können gelegentlich zynisch sein, vor allem unter sich und besonders, wenn sie überarbeitet sind oder von den Umständen genervt (Verwaltung, Gesetzgebung, Krankenkassen usw.). Manchmal sind Ärzte auch öffentlich zynisch, Blogs, wie www.medizynicus.de oder www.monsterdoc.de und andere sprechen da eine herrlich witzige und deutliche Sprache.
Manch flotter Spruch ist unter Arztkollegen üblich und nicht ganz so gemeint, wie er über die Lippen kommt
“Nur eine entfernte Bandscheibe ist eine gute Bandscheibe” oder “Wer nicht schnell genug auf dem Baum ist, bekommt heutzutage ein CT” und dergleichen mehr.
Einer der neueren Sprüche lautet:
“Leute seid vorsichtig, schlaft nicht auf einer Parkbank ein, ihr könntet in einem Herzkatheter-Labor aufwachen.”
Diese Überspitzung spiegelt die Realität wider, auf mehr oder weniger zynische Weise. Als Hausarzt hat man tatsächlich das Gefühl, in Deutschland wird derzeit auf Teufel komm’ raus herzkathetert. Nie sind mir so viele Herzkatheterbefunde ins Haus geflattert, wie in den letzten Wochen und Monaten. Nie waren so viele Befunde negativ (kein krankhafter Befund) oder ohne therapeutische Bedeutung.
Hier ein typisches Beispiel von übertriebenem Aktionismus:
Eine Frau, Anfang sechzig, geht an einem heißen Tag mit ihrem Mann mittags zum Kroaten essen. Schwitzend lassen sich die beiden auf ihren Plätzen nieder. Der Raum ist stickig, das Mahl üppig, wird aber vollständig verzehrt, schließlich muss man ja auch vollständig bezahlen. Irgendwann spielt der Kreislauf der Frau nicht mehr mit. Sie verspürt eine kurze Übelkeit, dann sackt sie ohnmächtig vom Stuhl. Sie ist kreidebleich, nicht ansprechbar und erbricht sich, die Einzelheiten kroatischer Kost erspare ich dem Leser. Die Ohnmächtige wird korrekt auf der Seite gelagert und der Notarzt gerufen. Dieser ist schnell zur Stelle ist. Inzwischen ist die Frau wieder ansprechbar, klappt aber sofort wieder zusammen, als sie gegen alle Anweisung versucht sich zu erheben. Der Kreislauf ist im wesentlichen stabil, der Blutdruck schwankt zwischen niedrig und erhöht, der Puls rast (120 Schläge/Minute), Reflexe sind vorhanden!
Zwänge der modernen Medizin
Die Frau wird ins Krankenhaus gefahren, eine andere Möglichkeit besteht an dieser Stelle in der heutigen Zeit für einen fremden Arzt kaum mehr. Obwohl vielleicht ein bisschen Geduld, ein Glas Wasser, ein kalter Lappen auf die Stirn auch gereicht hätten. Aber diese therapeutischen Optionen wären für einen richtigen Notarzt zu einfach, draußen steht der Hubschrauber auf dem Rathausplatz. Außerdem: Welche rechtlichen Konsequenzen wären zu fürchten, wenn die Frau wirklich ernsthaft krank wäre. Also wird die Frau eingeladen und los geht’s. Bis zu diesem Zeitpunkt würde ich als alt eingesessener Hausarzt sagen: Ziemlich großer Aufwand, aber gut, so sind die Zeiten.
Im Krankenhaus sind ein Glas Wasser und ein kalter Lappen keinen Gedanken wert. Stattdessen werden in kürzester Zeit alle Untersuchungen durchgeführt, die gut und teuer sind. Von der Blutentnahme zum EKG, vom Herz-Ultraschall zum Kopf-CT und der Durchblutungsmessung des Gehirns. Krankhafte Ergebnisse ergeben sich keine. Die Frau ist auch längst wieder wach. Es folgt die Fahrt ins Katheterlabor. Eine Herzkatheteruntersuchung wird durchgeführt. Dort findet sich nicht die Spur einer Verengung der Herzkrankgefäße, was auch kaum zu erwarten war. Der gesamte Fall und die Zwischenergebnisse geben so einen Verdacht nicht her, und die Krankheitsgeschichte der Patientin erst recht nicht. Die normalgewichtige Nichtraucherin leidet weder unter Diabetes noch Bluthochdruck und der Zwischenfall im kroatischen Restaurant ist auf Grund der Umstände mit einem Kreislaufkollaps erklärt.
Diese “gründliche” Untersuchung ist nicht ohne Risiko für Leib und Seele. Es gibt eine zugegeben geringe Zahl von Zwischenfällen und Nachblutungen im Zuge von Herzkatheteruntersuchungen. Dazu setzen harmlose Ergebnisse, wie leichte Gefäßverkalkung, manchmal nicht unerhebliche Ängste beim Patienten, was die Gesundheit des eigenen Herzens betrifft. Ganz davon abgesehen hat dieser Fall einige tausend Euro verschlungen, begonnen beim Notarzteinsatz per Hubschrauber und dazu vier Tage Krankenhausaufenthalt mit teils extrem teuren Untersuchungen.
Der Clou: Die Patienten war ein halbes Jahr zuvor wegen einer Wirbelsäulenverspannung herzkathetert worden. Die Untersuchung zeigte das Bild einwandfreier Herzkrankgefäße. Die Patientin konnte in der Aufregung nicht davon berichten. Der Ehemann hätte sich erinnert, wurde aber nicht gezielt gefragt (aus gutem Grund?) und war selbst nicht in der Lage mitzudenken.