Die Kranke Schwester hat mich darauf gebracht: Jedes Krankenhaus hat so seine Stammkunden, die immer wieder kommen, aus den verschiedensten Gründen.
Einer unser treuesten Stammkunden in der Notaufnahme war Fusel-Franze.
Fusel-Franze war ein Berber. Ein Bankier von der Parkbank, ein Nichtsesshafter.
Im Sommer sehen wir ihn eher selten, im Winter dafür um so häufiger und eine zeitlang stand er echt jeden Abend bei uns auf der Matte.
Wegen irgendwelchen Kleinigkeiten, jeden Abend etwas Anderes, da war er schon recht erfinderisch. Aber er war nicht unfreundlich dabei, wurde niemals ausfallend, hat sich nie beklagt und niemanden belästigt. Okay, er roch halt nicht immer ganz frisch.
Wir brauchten eine Weile, bis wir kapiert haben, daß es ihm hauptsächlich darauf ankam, im Warzezimmer eine Runde pennen zu können, also je voller das Wartezimmer und je länger die Wartezeit um so wohler hat er sich gefühlt. Ein paar mal, wenn wir nett waren und es geregnet hat habe wir ihn auch die halbe (nicht die ganze) nacht einfach pennen lassen. Ab und zu, wenn wir genügend freie Betten hatten und es draußen wirklich bitterkalt war haben wir ihn auch stationär aufgenommen, zur Balneotherapie sozusagen. Will sagen: um ihm einmal ein Bad zu ermöglichen.
Aber meistens blieb es dabei: Hier und dort eine Platzwunde genäht oder einen Salbenverband um einen angeblich verstauchten Fuß gewickelt.
Ja, und einmal habe ich ihn dann wiedergetroffen.
Am Wochenende, draußen in der Stadt. Ich hatte frei und habe mit ein paar Freunden gefeiert, und das nicht zu knapp. Mit gefühlten dreieinhalb Promille bin ich schließlich nachts um halb vier heimwärts getorkelt, als mir in der Fußgängerzone ein Obdachloser einen Pappbecher entgegenstreckte.
Er hat mich nicht erkannt. Und ich hin anfangs auch nicht: Bis ich das Pflaster an seiner linken Schläfe bemerkte, welches ich ihm höchstpersönlich dorthin geklebt hatte, ziemlich genau vierundzwanzig Stunden zuvor.