Zum Thema der nicht ganz einfachen menschlichen Ernährung liegt mir als Hausarzt das Verständnis der Leser, die nicht vom Fach sind, besonders am Herzen. Es gibt reichlich gute wissenschaftliche Erläuterungen im Internet, deswegen wird die Erklärung auf dieser website teilweise eher umgangssprachlich. Das Prinzip bleibt richtig, wird aber nicht allumfassend dargestellt. Die Leute vom Fach können ja derweil eine Geschichte von Dr. Kunze lesen, davon sind zwölf unter dem Thema Kolumne des Monats vorhanden.
Der Glykämische Index (GI oder auch Glyx) zeigt an, wie sich der Verzehr eines Kohlenhydrats (Zucker, Stärke) auf den Blutzuckerspiegel bzw. den Insulinspiegel auswirkt. Als Referenzsubstanz, sprich Vergleichssubstanz, dient reiner Traubenzucker, dessen Glykämischer Index auf 100 festgelegt wurde (die einzelnen Berechnungen sind uninteressant und verwirren nur). Alle anderen Kohlenhydrate messen sich nun am Traubenzucker. Die Stärke in Weißmehl-Spaghetti, die letztlich aus zusammengesetzten Zuckermolekülen besteht, hat nur einen GI von um die 50, je nachdem wie lange man sie kocht, al dente ist es eher weniger.
Vorarbeit wie bei der Stärke (Glykogen)…
Dieser deutlich geringe Einfluss von Spaghetti auf Blutzucker und Insulin liegt daran, dass der Kohlenhydratanteil in den Nudeln erst durch Verdauung aufbereitet werden muss. Kohlenhydrate liegen im Falle der Spaghetti als Stärke vor, nicht als Zucker. Der menschliche Körper kann nicht einfach Stärkemoleküle ins Blut aufnehmen, diese müssen erst zu Zuckern „zerhackt“ werden. Dazu müssen Verdauungssäfte fließen, Enzyme bereitgestellt werden, die dieses “Zerhacken” übernehmen. Nach und nach werden dann aus den Spaghetti Zuckermoleküle, die in die Blutbahn aufgenommen werden können.
…ist beim Einfachzucker nicht notwendig
Beim Traubenzucker ist das ganz anders, dessen Kohlenhydratanteil besteht von vornherein aus nichts anderem als Zuckermolekülen. Traubenzucker kann also ruckzuck in die Blutbahn überführt werden. Er wird so schnell vom Körper aufgenommen, dass ein Teil nicht einmal im Magen ankommt. Schon die Mundschleimhaut nimmt den Zucker auf, weil es nichts zu verdauen (aufzubereiten) gibt.
Zuckertransport in die Zelle
Die Aufnahme in die Blutbahn ist aber nur ein Punkt in der Zucker- und Kohlenhydratverwertung des menschlichen Körpers. Der zweite Punkt ist, dass der Zucker nicht einfach in der Blutbahn bleiben kann. Im Blut selbst nützt der Zucker wenig. Im Gegenteil, wenn er dort bliebe, richtete er mit zu hohen Blutwerten Schaden an (Diabetes mellitus). Wir brauchen den Zucker in den Muskelzellen, in den Nervenzellen und in allen anderen Zellen, die Energie für ihre Aufgaben und für ihr Überleben benötigen. Nicht zu vergessen die Leberzellen, die als Zuckerspeicher dienen können. Für den Eintritt in die Zelle bedarf es aber eines Türöffners. Diesen Portier spielt das Insulin. Ist der Zucker dann in der Zelle verschwunden, ist er im Blut auch nicht mehr nachzuweisen. Wir messen ja nicht den Zellzucker, sondern den Blutzucker.
“Nebeneffekte” durch Insulin
Bei Nahrungsmitteln mit hohem GI fällt geht der Zucker plötzlicher ins Blut über, also reagiert auch das Insulin plötzlich. Es hat ja die Aufgabe unseren Zuckerspiegel so um die 70 – 100 mg/dl (Milligramm pro Deziliter, tausendstel Gramm pro Zehntelliter) zu halten. Wenn wir mit „Gewalt“ dagegen arbeiten, das heißt unseren Zuckerspiegel unbedingt auf 300 treiben wollen, weil wir gerade ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte mit einem Stück Eierlikörkuchen hinunterspülen, dann kann das Insulin schon mal überreagieren. Auf Grund des hektischen Insulinauftritts kann nun wieder eine Unterzuckerung drohen (reaktive Hypoglykämie im Fachausdruck). Der gesunde Körper ist zwar in der Lage diese Nachschwankung auszugleichen, aber es bleiben zwei unangenehme Eigenschaften des hohen Insulinspiegels:
1. stoppt Insulin für die Zeit der eigenen Arbeit, die Abteilung von der Fettverbrennung. Gleichzeitig aufgenommenes Fett wird also eher erst einmal abgespeichert (für schlechte Zeiten), statt verbrannt. Ich erinnere in dem Zusammenhang an die zwei Stückchen Kuchen von eben, die neben reichlich Zucker auch das ein oder andere Tröpfchen Fett enthalten.
2. löst Insulin mit seiner Überreaktion gern Hunger aus. Was tun wir also am liebsten 20 Minuten nach dem Verzehr von zwei Riegeln Vollmilchschokolade? Richtig – aller guten Dinge sind drei!
In diesem Teufelskreis verbringen wir gern die Weihnachtstage (immer wieder ein schönes Beispiel). Nach einem gewaltigen Mittagsmahl, schwören wir uns, dass wir erst am nächsten Tag wieder etwas essen. Das schwören wir uns nach einer gewaltigen Kaffeetafel drei Stunden später gleich nochmal. Nur um ein bis zwei Stunden später um die Bunten Teller zu kreisen und nur mal so nebenbei zu fragen, was eigentlich so fürs Abendbrot geplant ist.
Der Wert des Glykämischen Index ist zwar umstritten, aber unbestritten ist, dass Nahrungsmittel mit hohem GI solche Teufelskreise eher auslösen als die mit niedrigem.
Im nächsten Artikel unter dieser Rubrik geht’s weiter. Dann wird der Begriff der Glykämischen Last erklärt. Außerdem wird zusammenfassend zum Thema Stellung genommen. Denn leider, leider, man kann so richtig essen wie man will, es kann trotzdem zu viel sein.