Frau Obermüller ist eine nette Dame in den Achtzigern. Bislang lebte sie allein in einem kleinen Häuschen am Stadtrand, mit Garten und Ofenheizung. Das hat sie bislang selbst versorgt, auch wenn ihr die Nachbarn inzwischen beim Holzhacken ein wenig geholfen haben.
Jetzt ist sie beim Umgraben ihres Gemüsebeetes ausgerutscht und gestürzt: Schenkelhalsfraktur.
Sie ist also operiert worden und inzwischen eigentlich wieder ganz gut beieinander, aber sie liegt immer noch bei uns. Wir hätten sie gerne entlassen – und sie will auch heim, aber es geht nicht.
“Was soll ich denn machen? Ich habe doch niemanden!” klagte sie letztens bei der Visite.
“Also gut, dann reden Sie am besten mal mit unserer Sozialschwester.” schlug ich vor.
Unsere Sozialschwester, das ist Schwester Birgit, die macht das, was man “Pflegeüberleitung” nennt: Sie sorgt dafür, daß Patienten auch nach der Entlassung die notwendige Pflege und Betreuung bekommen.
“Ist aber nicht ganz einfach bei Frau Obermüller!” meint Schwester Birgit zu mir, “denn Frau Obermüller hat keine Pflegestufe!”
“Warum?”
“Sie ist nun einmal nicht pflegebedürftig.”
“Aber in ihrem Alter völlig allein in dem Haus…”
“Richtig. Das wird nicht mehr gehen. Was sie braucht, ist eine betreute Wohnung. So etwas gibt es und ich habe auch einen Platz gefunden.”
“Und wo ist das Problem?”
“Das kostet Geld. Von ihrer Rente wird sie das nicht bezahlen können.”
“Ich dachte…”
“Der Staat springt erst ein, wenn das private Vermögen aufgebraucht ist. Sie wird ihr Häuschen verkaufen müssen.”
Unser Oberarzt hat einen Schwager, welcher Immobilienmakler ist.
Seit einigen Tagen schlawenzelt der Oberarzt verdächtig oft in Frau Obermüllers Zimmer herum. Und auch den Schwager habe ich hier schon gesichtet.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!