Dr. Kunze hört (nicht) auf 13

Juli 2009
Impfungen
Hausarzt Dr. med. Anselm Kunze sah die zwölfjährigen Zwillingsmädchen bauchfrei und mit einem sonderbaren Lichtreflex auf ihren Schneidezähnen vor sich sitzen und wusste wieder einmal, dass er hoffnungslos alt wurde. Mit über sechzig war er anscheinend in seiner Praxis ungefähr so up to date wie Huflattichtee als Mittel gegen Husten. Staubte es inzwischen aus seinem weißen Kittel?
Chayenne (Tschei-änn) und Jaqueline (sagen Sie ruhig Djäckie) saßen mit ihrer Mutter vor ihm, und es ging wieder einmal um das Thema Impfschutz. Die beiden Demnächst-Teenager hatten zusammen schon rund achtzig Impfungen hinter sich. Dr. Kunze hatte nachgezählt. Es waren nicht achtzig Injektionen gewesen, wegen der heutzutage üblichen Mehrfachimpfungen, aber das spielte keine Rolle. Achtzig Impfungen! Und er war derjenige gewesen, der diese Impfungen verabreicht hatte. War das richtig?
Und worum ging es heute?
Um Impfungen! Natürlich.
Dr. Kunze ließ sich in die Lehne zurückfallen. Er ahnte, was kommen würde. Und richtig! In Sachen Vorahnungen oder Einschätzung seiner Pappenheimer war er noch immer ein Ass.
„Ich wollte meine Girlies gegen diese Geschlechtskrankheit impfen lassen.“
Was Frau Schröder meinte, war eine Impfung gegen den Erreger der Feigwarzen im Genitalbereich. Wenn auch durch Geschlechtsverkehr übertragbar, handelte es sich doch nicht um eine Geschlechtskrankheit im engeren Sinne. Nach Erkenntnis der Wissenschaft traten die so genannten Papilloma-Viren häufiger bei Frauen auf, die Geschlechtsverkehr hatten, als bei jenen, die in dieser Hinsicht abstinent lebten. Die von den Viren verursachten Feigwarzen wiederum galten inzwischen als mögliche Präkanzerose für das Zervixkarzinom, auf Deutsch: als eine Vorstufe für den Gebärmutterhalskrebs.
Was für ein wunderbares Resultat der Forschung, jedenfalls für die Pharmaindustrie, die ein Serum gegen Papilloma-Viren entwickelt hatte, dachte der altgediente Hausarzt. Längst erschien ihm der Vertrieb dieses neuen Impfstoffes wie eine willkommene Lizenz zum Gelddrucken.
Oder war seine kritische Einstellung zu derlei Dingen nur eine weitere Ausdünstung aus seinem verstaubten Kittel? Dr. Kunze widerstrebte es, eine Impfung zu verabreichen, die den Anschein erweckte, damit sei hinsichtlich Geschlechtskrankheiten und Unterleibskrebs alles getan, was zu tun sei. Zudem sollten diese Impfungen vor dem ersten Geschlechtskontakt gespritzt werden, damit sie optimal nützten. Was für ein Geschäft.
Vor ihm saßen also Tschei-änn und Djäckie, zwei flachbrüstige Kinder und erwarteten ihre Spritzen gegen Tripper, Syphilis und jegliche Art von Unterleibskrebs, oder was immer sich Mutter und Töchter unter der Impfkraft der neuen Substanz vorstellten. Oder war Hausarzt Dr. med. Anselm Kunze nicht objektiv? Die moderne Medizin war ihm oft suspekt, vor allem immer dann, wenn es um viel Geld ging. Wie konnte er guten Gewissens ein Aufklärungsgespräch führen, wenn er von der Sache nicht überzeugt war? Andererseits konnte er nicht guten Gewissens von einer Impfung abraten, die viele seiner Arztkollegen für richtig hielten. Deswegen hatte er sich eine neue Taktik zurechtgelegt:
„Damit müssen Sie zum Frauenarzt.“
Die Mutter stutzte, vor allem auch, weil sie den verärgerten Unterton bemerkte. Hausarzt Dr. Kunze war doch sonst immer so nett und man konnte mit ihm über alles reden.
„Aber die Krankenkasse hat mir gesagt, Sie könnten das auch machen.“
„Sicher könnte ich das auch machen, aber ich will das nicht. Tut mir Leid.“
Und Dr. Kunze begann wieder einmal seinen eigenen Kampf gegen die Moderne. Er erklärte, was es mit dieser Impfung auf sich hatte, die aktuelle Diskussion um ihre Risiken, sprach von der Impfwut überhaupt, und am Ende zog er sein persönliches Fazit.
„Wir Ärzte wissen, dass wir nicht alles wegimpfen können, was an Krankheiten existiert. Einiges haben wir erfolgreich bekämpft und tun es noch. Was wir nicht wissen ist, was all diese Impfungen mit uns anrichten. Und ich weiß nicht, ob diese neue Impfung richtig ist. Ich weiß es einfach nicht.“
Er redete noch weiter, sprach von ökologischen Nischen, die vernichtete Mikroorganismen hinterließen, sprach von neuen Krankheiten, von denen niemand wusste, ob sie nicht eben durch übermäßiges Impfen ausgelöst wurden. Schließlich redete er von der trügerischen Sicherheit durch Impfungen, die Schutz vortäuschten, wo es keinen gab, gerade im speziellen Fall der HPV-Impfung. Er erwachte erst wieder aus seinem Monolog, als die Mutter der Zwillinge unvermittelt auf die Uhr sah. Er verstummte.
Die Mutter bat in die Stille hinein um zwei Überweisungsscheine zum Frauenarzt. Um die schlechte Stimmung im Raum zu mildern, sprach sie vom bevorstehenden Herbsturlaub. Sie wusste Dr. Kunze würde das Reiseziel gefallen.
„Wir wollen im Harz wandern.“
Das war allerdings ein Ding. Dr. Kunze konnte sich die beiden Früchtchen vor ihm nicht recht auf Wanderwegen in rustikaler Kleidung vorstellen, aber er freute sich. Deutsches Mittelgebirge – ein ganz normales Reiseziel.
„Im Harz. Ja, der Harz ist wunderschön. Deutschland als Reiseland ist schön und…“
Dr. Kunze kam nicht weiter. Die drei weiblichen Wesen erhoben sich bereits und strebten zur Tür. Mit einem Fuß schon im Flur hatte Frau Schröder dann doch noch einen Wunsch.
„Mein Mann, die Kinder und ich kommen dann noch mal wegen der Zeckenimpfung. Im Harz ist ja so viel Wald.“

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