Frau K. ist eine “ATW-Patientin”. Diese Insider-Abkürzung steht für “alles tut weh” und steht natürlich nicht in ihrer Krankenakte.
In der Akte hingegen findet sich eine beeindruckend lange Diagnoseniste: – und auffällig ist, dass da verdächtig oft Begriffe wie “unklare”, “idiopathische”, “kryptogene” oder “funktionelle” Beschwerden auftauchen.
Auf gutdeutsch: Man will der guten Dame zwar nicht Unrecht tun, aber man hat bislang nicht herausfinden können, was ihr fehlt, obwohl man sich alle Mühe gegeben hat und ihr alle Untersuchungsmethoden hat angedeihen lassen, die man sich denken kann. Das kann entweder daran liegen, dass alle Ärzte der Welt zu blöd sind um ihr Leiden zu erkennen oder daran, dass sie vielleicht wirklich nichts hat. Aber man will ihr ja schließlich nicht unrecht tun.
Im Schnitt so einmal im Monat taucht sie bei uns auf.
Von jedem Untersuchungsbefund und jedem Entlassungsbrief läßt sie sich eine Kopie geben. Die heftet sie dann ab – jede Seite einzeln in eine Klarsichtfolie verpackt, und dann nach verschiedenen Rubriken gegliedert und sortiert mit verschiedenfarbigen Reitern. Frau K. ist ein ordentlicher Mensch. Früher einmal war sie schließlich beim Ordnungsamt, bis sie dann mit zweiundvierzig Jahren in Frühpension gegangen ist. Wegen Rücken. Rücken ist immer gut.
Jedenfalls taucht sie regelmässig mindestens einmal im Monat bei uns auf, mit ihren Aktenordnern, und dann strahlt sie und begrüßt jeden von uns mit Handschlag. Man kennt sich schließlich.
“Wie gehts Ihnen, Frau K?” frage ich.
Sie strahlt auch mich an.
“Schlecht!” strahlt sie, “Einfach nur schrecklich, Herr Doktor! Diese Rückenschmerzen wieder… was kann das nur sein?”
Es gibt Menschen, die leben für ihre Krankheit.
Würden sie – manchmal glauben wir ja noch an plötzlich unverhofft erscheinende Gute Feen und so – würde sie also plötzlich von all ihren Übeln erlöst und von heute auf morgen völlig schmerzfrei und kerngesund: Ihr würde etwas fehlen.