Jammern auf hohem Niveau – oder: Was wollt Ihr denn eigentlich, Kollegen?

Wir Ärzte jammern gerne.
Jeder von uns. Sonst wären wir keine Ärzte:

Die Studierenden darüber, dass die Ausbildung so schlecht ist
Die PJler darüber, dass sie quasi wie Vollzeit-Arbeitskräfte eingesetzt werden ohne einen müden Euro zu verdienen und dann noch das Hammer-Examen vor sich haben
Die Assistenzärzte über lange Arbeitszeiten, Mobbing, schlechte Arbeitsbedingung und schlechte bis kaum existierende Weiterbildung
Die […]

a-t kritisiert intransparente Datenlage zu Qlaira®

Der unabhängige Arzneimittel-Informationsdienst “arznei-telegramm” (a-t) hat sich in der aktuellen Ausgabe die neue Verhütungspille Qlaira® (gesprochen “Klära”) angesehen und kommt zu einem negativen Ergebnis:

Aufgrund des geringen Erprobungsgrades und des Fehlens nachvollziehbarer Daten raten wir von QLAIRA ab.

Besonders die intransparente Studienlage, die keine gesicherte Bewertung zulässt, halten die Autoren für inakzeptabel.

Keine der drei zulassungsrelevanten multizentrischen klinischen Studien ist vollständig veröffentlicht, sodass sich die Zuverlässigkeit der neuen Kombination nicht hinreichend beurteilen lässt.

Das Risiko venöser Thromboembolien unter QLAIRA ist nicht bekannt (6). Insgesamt ist die Datenlage für Dienogest-haltige Kontrazeptiva hier weiterhin unzureichend: Zwei Fallkontrollstudien dazu sind bis heute nur als “Zusammenfassung” (10) oder gar nicht publiziert (11) und daher nicht beurteilbar. Beide wurden – wie auch entsprechende Untersuchungen zu anderen ursprünglich von Schering/Jenapharm entwickelten Verhütungsmitteln, beispielsweise zum Thromboembolierisiko Drospirenon-haltiger Kontrazeptiva (YASMIN u.a.) oder zum Brustkrebsrisiko der Hormonspirale MIRENA -, von einem in Berlin ansässigen Institut durchgeführt, das von dem ehemaligen Schering-Mitarbeiter J. DINGER und dem für seine Nähe zur Industrie bekannten L. HEINEMANN geleitet wird (vgl. a-t 2007; 38: 95-6).

Ein ziemlicher Kontrast zu dem überschwänglichen Jubel der Publikumsmedien und der in den Berichten zitierten Experten.

Ernsthafte Krankheiten oder Heilung des Umsatzes

Die Eingangsfrage und die vorletzte Frage in einem Interview der Wirtschaftswoche (28/2009) mit Andreas Barner, seit Anfang 2009 Sprecher der Unternehmensleitung von Boehringer Ingelheim, verdeutlichen für mich exzellent die Widersprüchlichkeit der Pharmaindustrie.

Frage: Herr Barner, viele Menschen halten die Manager der Pharmakonzerne für geldgierig und skrupellos. Stört Sie das schlechte Image der Branche?
Antwort: Ja, das stört mich sehr. Unsere Industrie trägt doch viel dazu bei, Krankheiten zu heilen.[…]

[…]

Frage: Wie weit sind Sie mit dem Medikament Flibanserin, welches das sexuelle Verlangen von Frauen steigern soll?
Antwort: Wenn Sie sich mit Frauen und ihren Ärzten unterhalten, merken Sie, dass das ein ernsthaftes medizinisches Problem ist. […]

Risiken und Nebenwirkungen des Pillenmarketings

In der Schweiz untersucht die Arzneimittelaufsichtsbehörde (Swissmedic) Daten und Studien sowie zu Risiken und Nebenwirkungen verschiedener Antibabypillen. Auslöser war der Fall einer 16-jährigen Schweizerin aus Schaffhausen, die seit der Einnahme des Verhütungsmittels Yasmin® des Hersteller Bayer schwer behindert ist, nicht mehr sprechen kann und künstlich ernährt werden muss. In der Schweiz sind seit 1990 mindestens fünf Frauen verstorben, nachdem sie mit fünf gängigen Präparaten hormonell verhütet hatten.

Das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erklärte, dass für Yasmin® Meldungen eingangen seien zu “sieben Todesfällen im Zusammenhang mit der Anwendung des Arzneimittels Yasmin oder Wirkstoffkombination von Yasmin”. Einer dieser Fälle beziehe sich auf den Tod eines Embryos in der sechsten Schwangerschaftswoche bei einer Frau, die unter Yasmin schwanger wurde. Das BfArM sieht jedoch keinen Anlasse für neue Untersuchungen.

Yasmin® ist eine echter Blockbuster und Umsatzgarant für das Unternehmen. Die Produktfamilie um die Antibabypille war 2008 die stärkste Medikamentengruppe des Pharmageschäfts von Bayer. Im ersten Quartal erzielte der Konzern damit einen Umsatz von 319 Millionen Euro, ein Plus von 7,4 Prozent binnen Jahresfrist. Umso härter trifft das absehbare Ende des Booms. Den Informationen des Tagesspiegels zufolge will der Konzern in diesem Jahr jetzt nicht mehr wie noch zu Beginn des Jahres vorgesehen 240 Millionen Verpackungseinheiten in Berlin produzieren, sondern nur noch 180 Millionen, also ein Viertel weniger.

In den Fokus gerät dabei auch die Marketing-Strategie, die auf den “Zusatznutzen” der oralen Kontrazeptiva zielt. Schönere Haut, keine Gewichtszunahme durch das Gestagen Drospirenon, Linderung von PMS-Beschwerden, bis hin zum “Verlegen” der Periode. Die Verhütung gerät zur Nebensache.

Auch bei der neuen Pille Qlaira® zielt Bayer auf den Lebensstil und nicht auf die einzig zugelassene Indikation, der oralen Kontrazeption.

In den USA ist die FDA aufmerksam, wenn Pharmaunternehmen ihre Produkte mit irreführenden und überzogenen Aussagen bewerben, die nicht mit der Zulassung gedeckt sind. Das musste im Oktober 2008 Bayer für die Pille Yaz® erfahren. Das Unternehmen erhielt von der FDA einen pdf-DateiWarnbrief, in dem zwei TV-Spots angemahnt wurden, in denen die Indikation der Pille erweitert, die Effektivität übertrieben und ernsthafte Risiken für Nebenwirkungen bagatellisiert worden waren.

In Europa dagegen verschliessen die Behörden die Augen, weil nicht sein kann, was nicht darf. Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente ist auf Fachkreise beschränkt. Obwohl gerade im Internet die Pharmaunternehmen immer dreister die Grenze zwischen erlaubter Information über Erkrankungen und verbotener Werbung für Arzneimittel zur Therapie dieser zu ihren Gunsten verschieben.

Nicht unerwartet daher das Statement des Leiters der Abteilung Pharmakovigilanz beim BfArM zu dem Lifestyle-Marketing für Antibabypillen, das die unbefriedigende rechtliche Situation bei der Medikamentenwerbung auf den Punkt bringt:

Wir entscheiden über die Zulassung eines Arzneimittels, nicht über deren Werbeaussagen.


Update
Hier ist einer der abgemahnten Spots:

Die Musik, ein Scandal Cover, liefert “The Veronicas”, ein angesagtes australisches Sänger- und Songwriter-Duo. Bayer hat sich schon 2005 die Zusamenarbeit mit der damals nur Australien bekannten Band gesichert.

In 2005, “Bayer came to us and said we’re looking for a way to connect with women a little bit better,” says Yaffa. “They really wanted to improve their brand messaging, really have people go and speak to their doctors—and those were the campaign elements that we really needed to deliver on.” To meet those criteria and build brand equity, he says, the company was looking for an artist that would bring the right personality and partnership potential.

Die Pharmaindustrie als Musikmanager. Auch mit Hilfe der Commercials haben die Veronicas den Durchbruch in den USA geschafft.

But that is also where a strong partnership can pay off. Now that Yaz is the number-one-selling birth control pill in the U.S., Bayer is moving into the third phase of its campaign with the Veronicas, where it will use one of the band’s own songs, “Change,” in an upcoming commercial.

Der Lifestyle-Charakter der Medikamentenwerbung wird im Vergleich mit dem Spot aus dem Jahr zuvor deutlich.

Krieg gegen den Tod. Bericht von der Front.

Zufällig im Netz drüber gestolpert: Ein uralter Artikel aus dem FOCUS über Herzchirurgen mit martialischem Vokabular. Krieg, Front, Kampf, verbranntes Fleisch, verschmortes Fett … Da geht einiges. Textstellen wie diese laden zum Verweilen und Zitieren ein. “Immer älter werden ihre…

Was zum Geier?

Junger Mann rennt in die Apotheke und ruft laut: „WAS IST DAS BESTE GEGEN FILZLÄUSE?“ Ich (auch laut): „JACUTIN!“ und er rennt wieder raus….Keine Ahnung was das sollte, vielleicht eine verlorene Wette oder so was.Üb…

Sind Sie Assistenzarzt oder richtiger Doktor?

Herr Dr. Penibel ist kein Arzt. Er ist Studienrat. Verzeihung, Oberstudienrat. Deutsch und Geschichte. Und außerdem ist er Ende fünfzig und kuriert bei uns gerade seinen zweiten Herzinfarkt aus.
Neulich bei der Visite setzte er seine Brille auf und mustert mein Namensschild.
“Sie sind nur Assistenzarzt?”
“Das ist richtig.”
“Sie haben sich mir aber als Stationsarzt vorgestellt.”
“Das ist auch […]