“aut idem” und kein Ende

Es gibt Themen, die sind zwar aus der täglichen Diskussion verschwunden, in der Praxis eines Hausarztes aber noch immer vorhanden. Deswegen an dieser Stelle noch einmal ein Artikel zur aut-idem-Regelung.
Eine Krankheitsgeschichte
In den letzten Wochen habe ich mir mein hausärztliches Hirn zermartert um herauszubekommen, warum es einer meiner Patientínnen so schlecht geht. Sie leidet unter anderem unter Bluthochdruck, leichter Herzschwäche und zu hohem Cholesterin (wenn das tatsächlich ein Leiden ist). Sie hat eine Krebserkrankung überstanden und steckt mitten in der Behandlung der zweiten. Aber ihre Lage war stabil.
Die unterschiedlichen Erkrankungen der Patientin bringen es mit sich, dass sie von verschiedenen Ärzten behandelt wird. Sie selbst war in der Vergangenheit häufig überfordert von ihren Krankheiten, von reichlich Diagnostik und noch mehr Therapie. Alles war nötig und hat, wie gesagt, auch geholfen. Ihr Zustand war stabil bis zufriedenstellend.


Aber in den letzten Wochen wurde sie schwächer, sie verlor an Gewicht, kam morgens kaum aus dem Bett, und wenn sie es schaffte, die Lage zu wechseln, konnte es ihr passieren, dass sie vor Schwäche und Schwindel stürzte. Darüberhinaus erschien sie mir blass und nicht immer schaffte sie den Weg in die Praxis, Hausbesuche waren erforderlich.
Etliche Untersuchungen wurden von mir veranlasst: Eisenkonzentration im Blut, Tumormarkerkontrolle, Blutzuckerspiegel überprüft, ebenso die Schilddrüsenwerte, EKG geschrieben, Kreislauf gemessen und, und, und. Bis auf eine Tendenz zum zu niedrigen Blutdruck fiel nichts weiter auf. Dies war allerdings ungewöhnlich bei einer Patientin, die bisher unter Bluthochdruck litt.
Des Rätsels Lösung
brachte schließlich der letzte Hausbesuch. Ich sah eine bunte Mischung von Tablettenpackungen verteilt auf dem Wohnzimmertisch liegen.
“Was genau nehmen Sie davon ein?” fragte ich und die Patientin antwortete mit einem Handstreich: “Alles!”
Danach war alles klar.
Auf dem Tisch lagen die Verpackungen eines Antihormons zur Krebsbehandlung, eines Cholesterinsenkers, eines blutdrucksenkenden Mittels mit gleichzeitig herzunterstützender Wirkung, eines blutdrucksenkenden Mittels in Kombination mit einem wasseraustreibenden Wirkstoff. Alles richtig! Nur die Blutdruckmittel lagen dort jeweils in dreifacher Ausfertigung.
Meine Patientin gehört zu der Sorte der Eichhörnchen, sprich frühzeitig für schlechte Zeiten sorgen ist wichtig. Obwohl sie also noch reichlich Blutdruckmittel hatte, holte sie sich Nachschub beim mitbehandelnden Internisten. In der Apotheke bekam sie nicht die übliche dunkelblaue und rote Packung, sondern diesmal eine blassgelbe und eine orangefarbene mit anderen Namen. Das waren nicht die richtigen (obwohl die Wirkstoffe exakt stimmten). Sie holte sich in unserer Praxis also die richtigen, wollte es jedenfalls, und bekam diesmal eine grüne Schachtel und eine rosafarbene, wieder mit einem anderen Namen. Die Patientin war verwirrt und nahm schließlich von jeder dieser Packungen die verordnete Dosis ein, nicht durchschauend, dass sie ihre gesamte Blutdruckmedikation in dreifacher Dosierung schluckte. Danach begann es, ihr schlecht zu gehen, was nicht weiter wundert.

Dieses Beispiel ist längst kein Einzelfall. Mich (und andere Hausärzte mit mir) würde es sicher grausen, wenn ich genau wüsste, wie viele Fehldosierungen von Medikamenten durch die aut-idem-Regelung zustande kommen. Und nebenbei wird auf diese Weise eine Menge Geld zum Fenster rausgeworfen.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *