Die letzte Kolumne Dr. Kunze hört (nicht) auf 14 wurde unter anderem mit folgenden Worten kommentiert:
…Ärzte (hier waren wohl Hausärzte gemeint), die alles an sich reißen, sind mir suspekt. Ein Schilddrüsenproblem sollte sehr wohl zum Spezialisten gehören…
Diese Einstellung legt einen Missstand in der heutigen Medizin offen und ist einer von mehreren Gründen, warum wir heutzutage so lange auf Facharzttermine warten müssen, wenn wir sie wirklich brauchen.
Eine einfache Hyper- oder Hypothyreose (Über-oder Unterfunktion) bedarf keineswegs der Dauerbehandlung eines Endokrinologen (Facharzt für hormonelle Störungen). Ein geprelltes oder verdrehtes Knie muss keineswegs in jedem Fall von einem Chirurgen oder Orthopäden behandelt werden, muss auch nicht sofort zum Kernspintomogramm, muss vor allem angefasst und untersucht werden.
Ebensowenig bedarf eine Migräne nicht in jedem Fall eines Neurologen oder ein Herzstolpern eines Kardiologen und nicht jeder Leberfleck muss von einem Hautarzt begutachtet werden.
Allgemeinärzte heißen auch deswegen Allgemeinärzte, weil sie einen allgemeinen Überblick über die Medizin besitzen. Tiefergehende Kenntnisse in bestimmten Fachgebieten hängen von der Ausbildung und vom Eigeninteresse des Hausarztes ab. Und sicher wird ein verantwortungsvoller Hausarzt einen speziellen Sachverhalt vom fachlich ausgebildeten Kollegen behandeln lassen.
Aber Wege, die direkt zum Facharzt führen, sind oft überflüssig und immer teuer. Dies ist nur ein Aspekt. Richtig ärgerlich wird es, wenn keiner der behandelnden Ärzte unterschiedlicher Fachrichtung mehr einen Überblick über den Patienten behält. Der Gynäkologe verordnet Hormone, der Orthopäde eine Operation, der Kardiologe etwas zur besseren Herzdurchblutung und zur Senkung des Blutdrucks, der Neurologe ein Antidepressivum, der Urologe ein Antibiotikum, der Zahnarzt auch, der Augenarzt leitet die nächste Operation in die Wege und der Radiologe eine CT-gesteuerte Spritzentherapie der Halswirbelsäule – und niemand weiß vom anderen etwas.
Die Wechselwirkungen der Medikamente (inklusive Betäubungsmittel) treiben bunte Spielchen und verursachen neue Symptome, die einer weiteren ärztlichen Behandlung bedürfen und vielleicht eine weitere Medikation veranlassen. Hier ist eine hohe Dunkelziffer von Beschwerden anzunehmen, die von Medikamenten ausgelöst werden. Auf diese Weise kann der Weg zum Facharzt sogar zur Gefahr werden.
Ein von mir sehr geschätzter Kollege hat einmal gesagt: “Wenn ein Patient mehr als vier Medikamente gleichzeitig einnimmt, weiß kein Mensch mehr, was in seinem Körper passiert.”
Von vier Medikamenten sind wir heutzutage oft weit entfernt. Multimorbide (mehrfach kranke) Patienten schlucken nicht selten mehr als zehn verschiedene Wirkstoffe, bekommen dazu Spritzen und Schmerzpflaster. In so einer Situation ist es wichtig, dass jemand mit Sachverstand Bescheid weiß und den Überblick darüber behält, was mit dem Patienten geschieht. Dies sollte der Hausarzt sein – der Gesundheitsmanager des Patienten. Und der sollte auch mal sagen dürfen, dass diese oder jene Überweisung zum Facharzt einfach nicht nötig ist.
In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, dass die Kolumne Dr. Kunze hört (nicht) auf Fiktion ist. Sie spiegelt die Wirklichkeit.
Dieser Artikel, der Leser mag es glauben oder nicht, entspringt der Sorge um den Patienten und um das deutsche Gesundheitswesen, nicht der Sorge um mein Honorar oder meine Arbeit. Ich bin mit meinem Einkommen zufrieden und Arbeit habe ich mehr als genug.