Einführung der elektronischen Gesundheitskarte im Bezirk Nordrhein
Wenn man nicht überzeugen kann, wächst für einflussreiche Funktionsträger auch in unseren ärztlichen Vertretungsorganen offenbar die Versuchung, mit subtilem ökonomischem Druck Entwicklungen durchzusetzen. Und das obwohl die Mehrheit der KollegInnen den Plänen zur Einführung der E-Card aus guten Gründen ablehnend gegenübersteht, wie drei aufeinander folgende Beschlüsse der Ärztetage gezeigt haben. Demokratische Willensbildung bleibt auf der Strecke, wenn solche klaren Voten von den gewählten Vertretern missachtet werden. So betreibt der nordrheinische KV-Vorsitzende Dr. Hansen sogar nach der Ankündigung seines bevorstehenden Rücktritts zum Jahresende noch mit Verve die Durchsetzung eines Projektes, für das er in der Vertreterversammlung keine Mehrheit mehr finden konnte.
Natürlich geht es um viel Geld: bis zu 7 Milliarden EUR werden aus den Beiträgen der Versicherten zu einem erheblichen Teil in die Kassen von IT-Konzernen fließen, und die Möglichkeiten zentralisierter Kontrolle nicht nur der ÄrztInnen, sondern insbesondere auch von Millionen Krankenversicherten werden neue Dimensionen erreichen. Ein österreichischer Kollege schilderte die in seinem Land schon eingeführte Patientendaten-Realität so: die online-angeschlossene Zentrale der Krankenversicherung weiß schon von der Anwesenheit des Patienten im Wartezimmer, bevor der Arzt als Behandler dies bemerkt hat.
Unbestritten ist: das E-Card-Projekt ist nur ein Teil des größeren Regierungsvorhaben „E-Government“. Es geht also nicht nur um Milliarden-Einnahmen der Elekronik-Industrie, sondern auch um den Datenhunger und die Überwachungssucht staatlicher und gesellschaftlicher Großorganisationen. Wo wirtschaftliche und soziale Prozesse sich demokratischer Kontrolle und Steuerung zunehmend entziehen, wächst offenbar die Versuchung, die einzelnen BürgerInnen „gläsern“ werden zu lassen. Die Individuen sollen zu Objekten in einem immer dichteren Netz der Überwachung werden.
Um nicht missverstanden zu werden: es geht uns nicht darum, sinnvolle technologische Neuerungen im Gesundheitswesen zu blockieren. Vielleicht lassen sich durchaus brauchbare Elemente aus dem Telematik-Projekt umsetzen, sprich: aus der zukünftigen Konkursmasse eines verfehlten Konzepts. Eine nach außen abgeschirmte E-Mail-Kommunikation etwa, ohne Speicherung auf zentralen externen Servern. Diese technische Möglichkeit, für die man sich freiwillig entscheiden kann, wäre sicher ein akzeptables Angebot für viele ÄrztInnen und Therapeuten. Dass Patienten das Recht haben, ihre Behandlungsunterlagen auch in ihren persönlichen Besitz zu nehmen, sei es in Papier- oder in digitaler Form, sollte sich ja ohnehin von selber verstehen.
Damit solche sinnvollen Optionen ohne Gefährdung des Kulturguts Arztgeheimnis verwirklicht werden können, muss aber erst einmal das immer noch betriebene verfehlte Gematik-Konzept vom Tisch. Es ist zu hoffen, dass Diskussionen dann auch wieder so offen geführt werden, dass es ärztlichen Organisationen möglich ist, ihre Meinung in Form einer bezahlten Anzeige im Rheinischen Ärzteblatt zu veröffentlichen, ohne – wie im Oktoberheft geschehen – der Zensur zum Opfer zu fallen.
Matthias Jochheim, Stellvertretender Vorsitzender, IPPNW