Ärzte und Krankenhäuser verschachern ihre Patienten und verdienen sich dumm und dämlich daran. Innerhalb von drei Tagen explodierte die Berichterstattung über dieses korrupte Vorgehen einer ganzen Branche, deren Vertreter sich jetzt winselnd gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben.
Ich arbeite hier vertrauensvoll mit verschiedenen Kliniken zusammen, und mir wurde in den letzten 14 Jahren weder ein Geldkoffer in einem schmierigen Hinterzimmer übereicht, noch habe ich irgendwelche Gegenleistungen für Einweisungen erpresst. Zeit also, diesem Hype mal auf den Grund zu gehen.
Scheinbar fing am 31.8.2009 alles mit einem Artikel in der FAZ an:
Medizin: Immer mehr Ärzte „verkaufen“ ihre Patienten – Wirtschaftspolitik – Wirtschaft – FAZ.NET
Immer mehr Ärzte bekommen von Krankenhäusern Prämien für die Einweisung von Patienten. (…) Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, sieht den Grund für solche Zahlungen in der fortschreitenden Kommerzialisierung der Medizin. “Da halten die Ehrenkodexe nicht mehr”, sagte er dieser Zeitung.
Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Rudolf Kösters, bestätigt die Praxis. “Das sind nicht mehr nur Einzelfälle wie vor zwei oder drei Jahren”, sagte er.
Schnell mal auf der Homepage der Deutschen Krankenhausgesellschaft nachsehen:
Nein, da steht nichts.
In zahlreichen Pressemeldungen liest man von “Fangprämien” – Verstößen gegen die ärztliche Berufsordnung und aus ethischer Sicht nicht zu tolerieren – im Dickicht des deutschen Gesundheitswesens, die “in einigen Regionen gängige Praxis” sein sollen, obwohl sie “total verboten” sind (Zitat Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe). Und sein Vizepräsident Montgomery schätzt gar, “dass in rund 30 Prozent der Fälle mit Betrug zu rechnen sei”. Sozialverbände und Verbraucherschützer reagieren über- geschätzt – “Hunderttausende von Fällen” empört.
Das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient wird von Ärzten missbraucht, die sich ihr Selbstverständnis aus finanziellem Eigeninteresse abkaufen lassen: schwere Korruptionsvorwürfe stehen im Raum. Eine Krankenkasse fordert strafrechtliche Konsequenzen und noch schärfere Gesetze. Der SPD-Experte Karl Lauterbach, ein Alarmist ersten Ranges, spricht sogar von möglichen Todesfällen, wenn Patienten nicht in die richtige Klinik kämen. Und überhaupt ist die Bestechung niedergelassener Ärzte auch jenseits der Krankenhäuser verbreitet: sie lassen sich sogar die Auto-Leasingrate der Frau bezahlen.
Und das, obwohl Deutschlands Ärzte selbst in der aktuellen Wirtschaftskrise nicht schlecht verdienen, nachdem sich die Horrorprognosen über die Honorarreform als Propaganda herausgestellt haben.
Stop.
Was ist eigentlich dran an den Vorwürfen? Wo sind Beweise und Zahlen? Zahlen und statistische Erhebungen gibt es nicht. Die DKG relativierte Äußerungen ihres Präsidenten Rudolf Kösters. Er habe nicht 5 Prozent der 14 Millionen Klinikfälle als „strittig“ bezeichnen wollen, sondern geschätzt, dass es bei 5 Prozent der 2000 Krankenhäuser „strittige“ Fälle gebe. Selbst der Bundesärztekammer ist “noch kein konkreter Fall bekannt, in dem ein niedergelassener Arzt versucht hat, ein Krankenhaus zu erpressen“.
Nach mühevoller Recherche fand ich das hier:
KBV – Presseecho 2009 – „Immer mehr Ärzte ‚verkaufen’ ihre Patienten“
KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Köhler begrüßt die von der Deutschen Gesellschaft für Urologie angestoßene Diskussion. Denn „Fangprämien“ seien Verstöße gegen die ärztliche Berufsordnung und aus ethischer Sicht nicht zu tolerieren.
Von dort gelangte ich auf das Urologenportal:
Urologenportal: DGU initiiert öffentlichen Diskurs um Kopfprämien (23.08.2009)
Vergangene Reformen haben eine wirtschaftliche und wettbewerbliche Ausrichtung in das Gesundheitssystem getragen. Vor allem in Ballungsräumen, wo die Konkurrenz unter den Kliniken besonders groß ist, versuchen diese nun zunehmend, ihre Wirtschaftlichkeit durch hohe Fallzahlen zu sichern, indem sie den regelmäßig zuweisenden Ärzten für Patienten, die mit bestimmten Diagnosen für eine stationäre Behandlung überwiesen werden, eine Vergütung leisten. Ob die Zuweiser die Prämie fordern oder annehmen – es bleibt ein juristisch und ethisch überaus fragwürdiges Procedere. Die Ärztliche Berufsordnung (MBO) ist eindeutig. So enthält der Paragraph 31 das explizite Verbot der „unerlaubten Zuweisung von Patienten gegen Entgelt“.
Am unteren Rand des Textes dann der Hinweis auf zwei Veröffentlichungen im Fachblatt der Urologen (erschienen vor rund zwei Monaten):
„Kopfprämien“ sind pauschalierte Zahlungen an Zuweiser durch Kliniken für jeden Patienten, der für eine stationäre Behandlung überwiesen wird. Aufgrund der scharfen Konkurrenz am Klinikmarkt tritt dieses Phänomen besonders in Ballungsräumen vermehrt auf. Diese um sich greifende Praxis wirft neben juristischen auch ethische Fragen auf. Dabei muss geklärt werden, wann eine solche Zahlung an Zuweiser eine gerechtfertigte und angemessene Leistungshonorierung darstellt und wann es sich schlicht um Korruption handelt, die bei verschärfter Konkurrenz am Markt eingesetzt wird, um durch Zuweiserbindung Patientenströme zu lenken.
und
Aus den Beschlüssen der Bundesärztekammer zur Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit und der Neufassung von § 18 Abs. 1 MBO in Bezug auf die Kooperation zwischen Krankenhaus und Arzt zur Patientenbindung lässt sich ableiten, dass deutliche wettbewerbs- und berufsrechtliche Grenzen im Wettbewerb um den Patienten innerhalb der Kooperation von Krankenhäusern und Ärzten bestehen. Der ethische und berufsrechtliche, dem Patientenschutz dienende Grundsatz, dass der Arzt seine patientenbezogenen Entscheidungen unabhängig und frei von auch wirtschaftlichen Beeinflussungen Dritter zu treffen hat, spielt bei der juristischen Beurteilung von Patientenzuweisungsmodellen ungeachtet der durch die vergangenen Gesundheitsreformen beabsichtigten verstärkten wirtschaftlichen und wettbewerblichen Ausrichtung der Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung eine zentrale Rolle.
Ergebnis:
Aus einer durchaus ernstgemeinten Auseinandersetzung mit einer heiklen Thematik wurde innerhalb von drei Tagen ein globaler Korruptionsvorwurf an die gesamte Ärzteschaft.
Obwohl keine verwertbaren Zahlen über das Ausmaß solcher Praktiken vorliegen, werden sogar von der Bundesärztekammer wilde Schätzungen in den Raum gestellt.
Es findet keine differenzierte Auseinandersetzung damit statt, dass die Umverteilung von Honorarströmen dem politisch gewollten Wettbewerbsgedanken und den damit verbundenen, integrierten Versorgungsmodellen geschuldet sein und damit völlig legal könnte.
Es handelt sich ganz offensichtlich um Propaganda.
An dieser Stelle sei erstmals Frau Schmidt gedankt, die heute dazu verlauten ließ:
facharzt.de [ Schmidt: Ross und Reiter nennen bei Prämienzahlungen ]
„Ich erwarte jetzt, dass die, die sagen, es gibt Betrug, auch Ross und Reiter nennen. Man kann nicht einen globalen Vorwurf quer durch ganz Deutschland erheben. Wer etwas weiß, soll konkret sagen, das Krankenhaus und die Ärzte sind es“, sagte Schmidt der „Leipziger Volkszeitung“ (Freitagausgabe). Und dann sollten die Betreffenden die Staatsanwaltschaft bitten, zu ermitteln. Das müsse schnell geschehen, damit nicht alle unter Generalverdacht stehen.