Patientendetails ausplaudern

Passend zum Beitrag gestern über amerikanische Medizinstudenten, die in Communitys Patientendetails ausplauderten, fiel mir eine Situation aus meinem Medizinstudium ein: Ich absolvierte eine Famulatur in der Allgemeinarztpraxis bei mir zuhause um die Ecke, weit weg von meinem damaligen Studienort. Ich saß mit dem Arzt in der Sprechstunde, als plötzlich eine weitläufige Nachbarin eintrat.

Wir kannten uns nur vom Sehen, daher sagte ich nichts und sie auch nicht. Mir war die Situation doch etwas unangenehm, doch die Courage, gleich darauf hinzuweisen, hatte ich damals noch nicht. Ich blieb also etwas peinlich berührt sitzen und hoffte, keine zu intimen Details aus ihrer Krankengeschichte zu erfahren.

Als der Arzt kurz aus dem Zimmer ging, sah sie mich an und sagte: “Wir kennen uns doch?” Ich erklärte ihr, dass ich im Rahmen meines Medizinstudiums ein Praktikum machen und der Schweigepflicht unterliegen würde. Das ist mir glücklicherweise gleich eingefallen, denn in einem Nest wie diesem Vorort verbreiteten sich Gerüchte sehr schnell und ich sah ihrem misstrauischen Gesichtsausdruck an, dass sie darüber nachdachte. Mit meiner Antwort schien sie zufrieden, ihr Gesichtsausdruck entspannte sich und sie erwähnte unser bekanntschaftliches Verhältnis dem Arzt gegenüber nicht einmal.

Mich gemahnte die Begegnung ganz eindringlich daran, tatsächlich zuhause NICHTS über die Patienten zu erzählen, eben weil schneller als gewollt Patienten identifiziert werden können und Details, die der Schweigepflicht unterliegen, plötzlich im Umlauf sind und nicht mehr zurückgenommen werden können.

Online-Communitys gab es damals noch nicht. Heute könnte sogar der Sohn in Bolivien seine Mutter, die kürzlich in Seattle operiert worden ist, anhand von unabsichtlich ausgeplauderten Details in facebook über den Ablauf der OP identifizieren. Nachrichten im Internet haben eine völlig andere Reichweite – und sie lassen sich auch nicht mehr zurücknehmen!

Daher sollten meiner Meinung nach Medizinstudenten bereits im ersten Semester über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt werden, vor allem sollten sie Hinweise zur Schweigepflicht und die Konsequenzen für den Alltag  unterschreiben. Das hat auch bei uns damals gefehlt. Wir wurden – so wie heute auch noch häufig nicht – nicht darüber aufgeklärt, was wir in Famulaturen oder im PJ tun durften und was nicht. Da kam es schon vor, dass ich einen Röntgenschein unterschrieb (auf Anweisung der Ärztin) und hinterher von einem aufmerksamen Radiologen erfuhr, dass ich das gar nicht dürfe. Ähnlich verhielt es sich mit der Schweigepflicht.

Am besten vorbereitet waren wir auf den Präpkurs im zweiten Semester. Jeder Student wusste, mit welchem Respekt er den toten Körperspendern gegenüberzutreten hatte, dass keine Witze erlaubt waren und ein unsachgemäßer Umgang mit den Körpern und den Materialien des Kurses zum sofortigen Ausschluss aus dem Kurs geführt hätte. Gleichzeitig sind wir aber auch sehr gut auf den ersten Kontakt mit den Leichen vorbereitet worden. Befürchtungen und Ängste wurden ernst genommen und jeder merkte in den einführenden Veranstaltungen, dass niemand beweisen musste, wie cool er mit der Situation umgehen kann.

Ähnlich sollten Studenten Näheres zur Schweigepflicht erfahren und welche Möglichkeiten es gibt, sich über belastende oder ärgerliche Situationen auszutauschen – in legalem Rahmen. Balint-Gruppen bieten zum Beispiel diese Möglichkeit oder unter Umständen auch Fachcommunitys im Internet, zu denen nur Angehörige medizinischer Berufsgruppen Zugang haben. Allerdings darf man auch dort nur zu anonymisierten Patientenfällen medizinischen Rat von Kollegen eingeholen. Ehrlich gesagt habe ich dazu noch nichts von rechtlicher Seite gelesen. Falls jemand einen Link dazu hat, freuen wir uns über einen Hinweis.

(Uli)

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