Wer fängt an? Teil 1

Gedanken eines Hausarztes zum deutschen Gesundheitswesen in drei Teilen
Neben der Tatsache, dass das deutsche Gesundheitswesen noch immer Beachtliches leistet, gibt einiges am System zu beklagen. selbst wenn ganz und gar neutral argumentiert würde:
Explodierende Kosten, Ungerechtigkeiten, Habgier auf allen Seiten, politische Unfähigkeit, effektheischendes Sendungsbedürfnis, ausufernde Anspruchshaltung, mangelhaftes Management und dekadente Verschwendungssucht sind Schlagworte, die jeder unterschreiben würde. Allerdings nicht jeder alle, sondern jeder die, die jeweils den anderen betreffen.
Es sind immer die Anderen
Ein Manager aus der Pharmaindustrie würde sich gegen den Vorwurf der Habgier verwahren, aber vielleicht den Tadel Richtung unfähiger Politik mittragen, oder das ständige Lamento der Krankenkassen über überhöhte Medikamentenpreise beschimpfen.
Ein Patient würde allem beipflichten, außer der ausufernden Anspruchshaltung. Damit kann er keinesfalls gemeint sein, weil er nur nimmt, was ihm zusteht und nicht einmal das bekommt er. Sicherheitshalber würde er nachfragen, wer mit dekadenter Verschwendungssucht angesprochen ist, ein unhaltbarer Vorwurf, was die Patienten betrifft.
Ein Arzt würde spüren, dass es dabei vielleicht um ihn ginge und sich sofort auf den Schlips getreten fühlen. In einer Art natürlichem Beißreflex würde er umso lauter über die Medien, Krankenkassen und Politiker schimpfen, vielleicht sogar die eigene Standesvertretung angreifen.
Die Krankenkassen würden ihr eigenes Management loben, aber zusammen mit den Politikern die Ärzte laut attackieren. Leise, quasi im Stillen, damit es niemand hört, würden sie über die Patienten lästern, die zu viel haben wollen und ihnen klammheimlich Leistungen streichen. Leise deswegen, weil Patienten ja immer auch Versicherte sind, die das Recht haben, die Krankenkassen zu wechseln.
Die Führung einer Krankenhausgruppe würde den Vorwurf der Gewinnmaximierung weit von sich weisen, auf die Kräfte der Marktwirtschaft verweisen und Krankenkassen sollten sich an die eigenen Nasen fassen.
Die Medien sind hier und da für oder gegen alles, schüren gern Ängste, alles im Sinne der umfassenden Information oder der Einschaltquoten und Auflagen. Die verwahren sich aber gegen jegliche Einschränkung ihres Mitteilungsbedürfnisses. Meinungsfreiheit ist das höchste Gut, das es mit aller Entschiedenheit zu verteidigen gilt, es sei denn, jemand ist der Meinung, die Medien sollten sich zurückhalten.
Und die Politik? Fragen wir nicht weiter, wir wissen, wie es ausgeht: Die Anderen sind Schuld. In diesem Fall sogar Mitglieder der eigenen Kaste, aber die von der anderen Partei.
Die These, die anderen sind Schuld, ist die einfachste und die gängigste, vor allem ist es die These, die sich am längsten hält und von allen Gruppen genutzt wird. Im Grunde ist diese Behauptung unverwüstlich und gilt seit dem Beginn der Zeit.
Die Sechsfaltigkeit
Auf das deutsche Gesundheitswesen wirken sechs Kräfte ein, Gruppierungen, die es tragen, bestimmen und nutzen. Erweisen wir der Politik den Gefallen und nennen sie zuerst. Gefolgt von den Verkäufern (Medikamente, Hilfsmittel, private Krankenhäuser als Wirtschaftsunternehmen u. a.), den Versicherern (Krankenkassen, Lebenversicherungen, usw.), den Medien, den Therapeuten (KG, Ergo, Ärzte usw.) und schließlich den Patienten. Die Reihenfolge ist willkürlich und zufällig, nur eine Position ist in diesem Zusammenhang unumstößlich zutreffend, die des Patienten. Dieser Teil des Gesundheitswesens ist immer das letzte Glied der Kette. Einerlei wer die Kette aufzieht, der Patient ist nicht beteiligt und kommt nach hinten.
Allen sechs wirkenden Kräften in der Medizinwirtschaft ist eines gleich: Sie brauchen und gebrauchen das Gesundheitswesen, nutzen es oder bedienen sich an ihm, an seinen Milliarden. Mal steht der eine Nutznießer im Mittelpunkt der Kritik, mal der andere. Nie sind es alle bei allen zu gleich und niemand fasst sich an die eigene Nase. So wird es immer weiter gehen.
Im nächsten Teil wird die Titelfrage beantwortet. Wer sollte beginnen und sich an die eigene Nase fassen, sollte mit eigener Zurückhaltung eine Wende im Gesundheitssystem einleiten?

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