Frage (Update 13)

Bin ich der einzige, der die gestrige ARD-Dokumentation über die von der bösen Pharmaindustrie seit 20 Jahren verhinderte rosafarbene Vitamin-B12-Salbe namens “Regividerm”, die Neurodermitis zu “heilen” in der Lage ist, spontan für einen aberwitzigen PR-Stunt erster Güte hält?

Hier der Link zur Sendung.

Die Süddeutsche Zeitung glaubt die Geschichte.

Fefe, unumstrittener Experte für Verschwörungen jeglicher Art, glaubt sie auch.

Die Home-Page des Herstellers: www.regividerm.de

Nach der Ankündigung des Dokumentarfilms „Heilung unerwünscht – Wie Pharmakonzerne ein Medikament verhindern“ , der am Montag, den 19.10.2009 um 21.00 Uhr in der ARD gesendet wird, ist ein großes Interesse an unserem Projekt „Regividerm® Salbe“ entstanden.

Wir haben uns deshalb gegen alle Widerstände entschlossen, Regividerm® Salbe selbst zu produzieren und hoffen, damit schon bald den Betroffenen der großen Zivilisationskrankheiten Neurodermitis und Psoriasis (Schuppenflechte) wirksam und nebenwirkungsarm helfen zu können!

Update: Mehr über die Hintergründe gibt es in einem gut 5 Jahre alten Artikel der Boocompany.

Update 2: Vielleicht fehlt ja dem Autor auch ein wenig Abstand zu seiner Geschichte:

Update 3: Martens’ Rezeptbuch zur Doku erreicht Platz 5 der Amazon-Bestsellerliste.

Update 4, 14:30: Platz 3. Herta Müller ist gepackt. Da geht noch was.

Update 5, 17:45: Wer das Rezeptbuch noch nicht bestellt hat, kann sich auch gleich die fertig zusammengerührte Wundersalbe holen. Das ging ja dann doch erstaunlich fix, wenn man das resignierte Gejammer im Film noch vor Augen hat.

Update 6. 18:05: Die Süddeutsche Zeitung bringt einen weiteren Artikel und hat noch nicht Lunte gerochen:

Ludwig F. würde sich dennoch freuen, wenn ein Pharmaunternehmen das Mittel vertreibt. “Wenn ich 40 Jahre alt bin”, sagt der 26-Jährige, “will ich einen Hammer wie Metrothrexat nicht mehr nehmen müssen.”

So lange wird er jedenfalls nicht mehr auf Regividerm warten müssen, dem Mann kann geholfen werden. Siehe Update 5.

Update 7: Ich habe ja schon so manche Markteinführung von fragwürdigen Medikamenten und Medizinprodukten verfolgt. Aber diese Geschichte hier hätte man nicht besser inszenieren können. Allein das Timing ist schon ein Meisterstück.

Update 8: Meine absolute Lieblingsstelle im Film ist übrigens ein Zitat von Professor Peter Altmeyer, einem der verantwortlichen Wissenschaftler der beiden bislang bekanntgewordenen Regividerm-Studien (bei ca. 11:25):

Doppelblind können Sie das nicht machen, weil das rosa ist.

Update 9: Hier hat sich jemand die beiden rosabedingt unverblindeten Studien genauer angesehen und ist nicht überzeugt.

Update 10: Die Süddeutsche Zeitung freut sich jetzt in ihrem dritten ahnungslosen Artikel mit uns, dass Regividerm überraschenderweise doch nicht erst in 14 Jahren zu haben sein wird.

Der TV-Beitrag über ein von den Pharmafirmen ignoriertes Medikament gegen Neurodermitis und Schuppenflechte hat offenbar Wirkung gezeigt. Das Schweizer Unternehmen Mavena Health Care sagte zu, die Creme “Regividerm B12 Salbe” in Kürze in Deutschland zu vertreiben.

TV wirkt.

Update 11: In einem hektisch nachgeschobenen vierten Artikel beginnt die Süddeutsche Zeitung jetzt, mit kräftigen Schlägen zurückzurudern. Aber sie glauben immer noch, dass die Studien verblindet gewesen seien:

Für Körperteile, die mit einer identisch aussehenden Placebo-Salbe bestrichen wurde, machten fünf beziehungsweise 39 Patienten entsprechende Angaben.

Nein. Denn wir wissen ja:

Doppelblind können Sie das nicht machen, weil das rosa ist.

[Edit: In der zweiten Studie ging es dann doch, obwohl “das rosa ist”. Der unglaubliche Trick: Die Placebosalbe war auch rosa!]
Und:

Weitere Studien zur Wirksamkeit seien vorläufig nicht geplant.

Hätte mich ehrlich gesagt auch überrascht.

Update 12: 21.10., 21:00 Jetzt übernimmt Spiegel Online die PR-Arbeit für die Wundersalbe.

Update 13: Martens bekommt bei Frank Plasberg mit einem seltsam deplaziert wirkenden Auftritt noch einmal eine Plattform für seine Wundersalbenmär, eiert aber gewaltig herum und kommt in der Diskussion mit den anderen Gästen gewaltig unter die Räder (gegen Ende der Sendung). Auch Markus Grill, nicht im Verdacht, ein Pharmalobbyist zu sein, zeigt sich überaus skeptisch. Er weist auf einen weiteren fundamentalen Denkfehler in der Geschichte hin: Der Preis der Zutaten bestimmt in diesem Markt bekanntermaßen nicht den Preis des Medikaments. Ganz im Gegenteil könnte ein Pharmaunternehmen, das die Patentrechte besitzt, nahezu jeden beliebigen Preis für die Salbe verlangen, wenn sie denn nur besser wirken würde als Vergleichspräparate (wofür es in den beiden vorliegenden Studien keinerlei Anhaltspunkte gibt). Eine zentrale Säule von Martens’ Verschwörungstheorie ist es ja, dass der “günstige” Preis der Salbe quasi vom Erfinder oder durch den geringen Preis der Zutaten vorgegeben sei, und dadurch im Falle einer Vermarktung der Salbe durch Big Pharma der bisherige große Reibach mit teuren (und schlechten) Präparaten ein Ende gehabt hätte.

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