Gunther von Hagens „Körperwelten“ polarisieren Köln – Ein Bericht

www.koerperwelten.de
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Anatomische Grenzgänge

Es ist kalt an diesem Oktobermorgen. Der Herbst hält Einzug und während mir der Wind um die Ohren fegt frage ich mich, was mich erwartet in der großen Ausstellungshalle, die eher nach alljährlicher Immobilienmesse aussieht als nach Grenzerfahrung. Ich bin auf dem Weg zur wohl umstrittensten Ausstellung dieser Tage – Gunther von Hagens „Körperwelten“. Mir geht der Pressespiegel durch den Kopf. Von „Gruselkabinett“, „Dr. Tod“ und „Meister der Zerstückelung“ ist dort die Rede. Boulevardblätter konkurrieren um die schockierendste Schlagzeile und fallen dabei ihrer Doppelmoral zum Opfer. Ich aber möchte mir ein eigenes Bild machen und so wage ich den Schritt in anatomisches Neuland.

Schnell wird klar: „Körperwelten“ ist keine gewöhnliche Ausstellung. Als Selbstent- deckungsreise konzipiert, kommen einige Besucher bereits nach wenigen Metern  an den Rand ihrer emotionalen Belastbarkeit. Mir ist ein wenig mulmig zumute in Anbetracht der ersten Tränenausbrüche. Doch meine Befürchtungen werden schnell entkräftet. Was sich mir bietet ist alles andere als obszön oder ethisch verwerflich: Bis in die Kapillargefäße ausgegossene Herzen, eingefärbte Scheibenmodelle eines Rumpfquerschnitts, eingebettete künstliche Gelenke. Fein säuberlich herausgearbeitete Muskeln, Sehnen, Nerven oder gar der vollständige Verdauungsapparat, mit Azeton und Kunststoffen in ästhetische Form gebracht und für die Ewigkeit konserviert. So stehen sie da, Körperspender aus aller Welt, die ihre vergängliche Hülle in die Hände der Wissenschaft gaben, um der Nachwelt einen revolutionär tiefen Einblick in das zu geben, was zeitlebens im Verborgenen bleibt – das Innerste.

Wie versteinert räkeln sich die Exponate in sämtlichen Körperstellungen – dabei ist die  Rollenverteilung unklar. Bin ich der Beobachter oder die Attraktion? Es herrscht eine voyeuristische Atmosphäre, ein Staunen und Kopfschütteln über so viel Authentizität. Plötzlich sehe ich mich mit den gesundheitlichen Folgen meines genussorientierten Konsumverhaltens konfrontiert. Kein Wunder also, dass das Plastinat einer Raucherlunge auch dem ein oder anderen Mitbesucher ein peinlich berührtes „Ich wollte ja eh schon länger aufhören!“ entlockt. Mission erfüllt? Denn genau das ist, worum es Gunther von Hagens nach eigenen Angaben geht – das Erschaffen von Körper- und Gesundheitsbewusstsein. Er ist kein Kulturgut- oder Zeitgeistarchivist wie die meisten Künstler. Es ist der Aufklärungsauftrag am realen Objekt, der den Heidelberger Anatomen anspornt und zu immer größeren Projekten herausfordert, jüngst eine 5,10 Meter hohe Giraffe- ein plastiniertes Meisterwerk, das jedem Präparator die Freudentränen in die Augen treiben dürfte.

Auf weniger Begeisterung hingegen stieß das Ausstellungsstück „schwebender Akt“, das im Vorfeld eine Auseinandersetzung zwischen dem Aussteller und der Stadt Köln auslöste. Per Verfügung sperrte das Ordnungsamt die Teilausstellung für die Öffentlichkeit– sehr zum Ärgernis der Besucher, die ihrem Unmut in Gästebucheinträgen Luft machten und ihr eindeutiges Interesse an der detaillierten Darstellung des Geschlechtsaktes bekundeten. Viele Besucher kritisierten vor allem die fehlende Demokratie im Entscheidungsprozess. Die Tagespresse nahm es dankbar auf und entfachte von Neuem die Diskussion, ob „Körperwelten“ ethisch vertretbar sei.

Dass sich Gunther von Hagens auf einer medial verschärften Gratwanderung zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde befindet, dürfte ihm wohl spätestens seit  dem „SPIEGEL“-Skandal  im Jahr 2004 klar sein. Damals standen die Methoden seines Körperspendeprogramms am Pranger. Gegen den Vorwurf, chinesische Hinrichtungsopfer für die Plastination zu verwenden, erhob von Hagens Anklage und bekam Recht: Die Zeitschrift nahm die Aussage zurück. Seit der Veröffentlichung musste sich der Mediziner immer wieder harter Kritik stellen. Doch sein Lebenswerk –irgendwo  zwischen moralischer Grauzone und plastinierter Pionierarbeit – löst nach wie vor Faszination aus, der auch ich mich nicht entziehen kann. Mittlerweile haben sich über 10.500 Menschen weltweit in die Körperspender-Datei eingetragen. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst.

Am Ende der Ausstellung komme auch ich zu dem Punkt, an dem ich mich mit der Frage beschäftige, was nach dem Tod eigentlich mit meinem Körper passiert. Krematorium oder konventionelles Grab? See-Bestattung oder Spende an das Institut für Plastination? Brauchen Angehörige einen Ort der Trauer? Kann die Seele zur Ruhe kommen, wenn der Körper zu einem Gegenstand der Wissenschaft wird? Ich betrachte die große Tafel am Ausgang, auf der ein Zitat Gunther von Hagens abgedruckt ist:

„Mein Ziel ist es, den Besuchern die wunderbare Komplexität des menschlichen und tierischen Körpers lebensnah aufzuzeigen. Hierbei soll das Plastinat auch an die eigene Sterblichkeit erinnern, indem es gleichsam augenzwinkernd zu den Betrachtern spricht:
Ich war, wie Du bist: lebendig
Du wirst sein, wie ich bin: tot
Jedoch kannst Du auch sein, was ich bin: ein Plastinat”

Trotz meiner Begeisterung für diesen anatomischen Grenzgang bleibe ich skeptisch. Ich als plastiniertes Exponat auf Welt-Tournee? – Für mich nicht vorstellbar. Was ich an diesem Tag mitnehme, wird mich jedoch nachhaltig begleiten, denn mein Entschluss steht fest: Ab sofort werde ich jeden Tag bewusster genießen und besser auf das aufpassen, was mir bis heute so fremd war – mein Körper!

Mehr Informationen über die Körperwelten-Ausstellung in Köln erfahren Sie unter: www.koerperwelten.de/koeln/

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