Interview mit Dr. med. Michael Teut von der Charité. 2. Europäischer Kongress für Integrative Medizin (ECIM) in Berlin.

Ärzte, Wissenschaftler, Patienten, Gesundheitspolitiker sowie Mitarbeiter von Krankenkassen treffen sich am 20. und 21. November 2009 zum 2. Europäischen Kongress für Integrative Medizin (ECIM) in Berlin. Renommierte Experten beschäftigen sich hier mit der Frage, wie sich die Stärken von moderner Schulmedizin und Komplementärmedizin in einer Integrativen Medizin zum Wohle des einzelnen Patienten aber auch zum Wohle der Solidargemeinschaft vereinen lassen. In einem vom ZAEN veranstalteten Workshop (→ PDF-Flyer) geht es auch um die Neuraltherapie. Dr. med. Michael Teut, ärztlicher Leiter der Charité Ambulanz für Prävention und Integrative Medizin, erläutert nachfolgend, wie auch Laien (Patienten und gesunde Menschen) vom 2. ECIM profitieren können.




Herr Dr. Teut, was verstehen Sie unter Integrativer Medizin und wie sieht das zum Beispiel in Ihrer praktischen Tätigkeit aus?

Dr. med. Michael Teut:

Unter Integrativer Medizin verstehen wir die individuell angepasste Kombination aus Komplementär- und Hochschulmedizin. Wir wenden die Integrative Medizin insbesondere bei chronischen Erkrankungen wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rheumatische Erkrankungen, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen oder auch Allergien und Neurodermitis an.

Vielleicht lässt sich Integrative Medizin am besten an einem konkreten Beispiel erklären: Ein Mann mittleren Alters kommt mit erstmals festgestelltem Bluthochdruck zu uns in die Ambulanz – in der Hand ein Rezept für ein Medikament dagegen, das er aber nicht einnehmen möchte. Die Frage ist, was der Patient selbst wirksam tun kann, damit das Medikament nicht dauerhaft angewendet werden muss?

Hier setzt unsere individuelle integrative Behandlung an: je nach Hintergrund der Krankheitsentstehung allmählicher Aufbau eines Ausdauersportprogrammes, Stressreduktion, Ernährungsumstellung und Gewichtsreduktion. Hilfreich sind auch Yoga oder Qi-Gong. Medikamente kommen nur dann zur Anwendung, wenn diese Lebensstilveränderungen nicht ausreichen.

Wir nehmen uns Zeit und motivieren den Patienten, eigenverantwortlich zu handeln. Über sechs bis zwölf Monate versuchen wir die gemeinsam erarbeitete Strategie umzusetzen. In der Regel gelingt es, eine nachhaltige Besserung zu erreichen.

Nun werden komplementäre Behandlungsmethoden ja oft von Medizinern aber auch von Patienten mit Skepsis betrachtet. Wie beurteilen Sie die Situation?

Dr. med. Michael Teut:

Untersuchungen belegen, dass über 70 Prozent der Bevölkerung eine komplementärmedizinische Betreuung wünschen. In der Praxis vieler niedergelassener Kollegen ist eine integrative Medizin – also die Verbindung von Komplementär- und Schulmedizin – bereits gang und gäbe, während die Hochschulen traditionell skeptisch und zurückhaltender sind.

Hier verzeichnen wir in den letzten Jahren deutlich verstärktes Interesse, das sich auch in entsprechenden Publikationen niederschlägt. Aber noch immer sind viel zu wenige komplementäre Therapien bisher ausreichend wissenschaftlich untersucht.

Das bedeutet – Versorgungsrealität (Inanspruchnahme durch Patienten, Angebote in der niedergelassenen Praxis) und Forschung (wissenschaftliche Untersuchung) klaffen noch immer weit auseinander.
Der Europäische Kongress für Integrative Medizin setzt an diesem Punkt an.  Der offene Patiententag ist von großer Bedeutung, um PatientInnen und WissenschaftlerInnen in einen Dialog zu bringen.

Inwiefern?

Dr. med. Michael Teut:

Der Begriff Integrative Medizin wird mit Hilfe eines solchen Patiententages verständlich in die Öffentlichkeit getragen. Wir freuen uns, dass wir sehr renommierte Experten für diesen Tag gewinnen konnten – Frau Prof. Dr. Claudia Witt (Charité), Privatdozent Dr. Benno Brinkhaus (Charité) und Prof. Dr. Andreas Michalsen (Charité, Immanuel Krankenhaus) sind nur drei der bekannten Namen. Bislang hat es das noch nicht gegeben, dass sich so viele Experten aus dem Bereich der Integrativen Medizin an einem Tag ganz allein für die Patienten zur Verfügung stellen.

Natürlich ist das wichtigste Anliegen, einen intensiven Austausch zwischen Patient und Experten zu fördern und den Patienten Rat und Hilfe zu geben. Der Patiententag gibt den Rahmen und vor allem die Zeit, Behandlungsmethoden und Wirkungsweisen verständlich zu erklären. Eine Möglichkeit, die im Praxisalltag selten besteht.

Aber auch für die Wissenschaftler und Ärzte ist dieser Tag eine willkommende Gelegenheit, ein Feedback auf ihre Arbeit zu bekommen. Das Gespräch mit den Patienten kann auch für die Wissenschaftler eine enorme Motivation darstellen, die sich in der künftigen Forschungsarbeit niederschlägt.

Was wird Patienten konkret auf dem Patiententag geboten?

Dr. med. Michael Teut:

Wir haben ein sehr breites Themenspektrum, das sich an den häufigsten chronischen Erkrankungen und Beschwerden orientiert und damit einen Großteil der Bevölkerung anspricht. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rheuma, Arthrose, Magen-Darm-Beschwerden, Rücken- und Nackenschmerzen, Infektanfälligkeit oder auch Schlafstörungen. In Impulsreferaten werden die Themen vorgestellt und im Anschluss gibt es die Möglichkeit mit dem Referenten in einen intensiven Dialog zu treten.

Es ist uns enorm wichtig, dass der Patient ganz konkrete Erkenntnisse mit nach Hause nimmt. Im Zentrum stehen daher Fragen wie: Was kann ich selber tun? Welche Methoden chinesischer Medizin helfen bei chronischen Nackenschmerzen? Welche naturheilkundlichen Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei Magen-Darm-Erkrankungen?

Ganz neu ist das Konzept der Patientenworkshops: Hier haben die Besucher die Möglichkeit, erste Schritte unter professioneller Anleitung selbst intensiv auszuprobieren. So vermittelt ein Workshop zum Beispiel konkrete Qi Gong Übungen, die Nacken und Schulterverspannungen lösen können. Wir bieten Workshops zu Yoga, Nordic Walking, Entspannung und Stressreduktion an.

Wenn ich selber nicht an einer Erkrankung leide – ist der Patiententag dann trotzdem interessant für mich?

Dr. med. Michael Teut:

Auf jeden Fall! Natürlich orientieren sich viele der Themen an vorhandenen Beschwerden. Aber auch die Erhaltung der Gesundheit, die Prävention, spielt eine große Rolle. Themen wie „Gesund durch den Winter“ oder „Gesund bis ins hohe Alter – so helfe ich mir selbst“ sollen alle ansprechen, sich auch präventiv mit ihrer Gesundheit auseinanderzusetzen.

Darüber hinaus haben wir in Anlehnung an den Kongress auch Themen aus der Kinderheilkunde aufgenommen. Das ist besonders für Eltern interessant, denn hier besteht für viele ein sehr hoher Bedarf an seriöser Aufklärung: Welche naturheilkundlichen Mittel kann ich bei Kindern anwenden? Aber auch, wie erkenne ich die Grenzen einer Selbstbehandlung?

Was erwarten Sie sich selber von dem Patiententag?

Dr. med. Michael Teut:

Viele interessierte Besucher, spannende Vorträge und Workshops und inspirierende Gespräche mit den Besuchern!

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Links zum Thema:

ECIM: Kongress-Homepage

H.Blog: u. a. Wissenschaftliches Komitee des ECIM

Bild: Stress kann man auch wegatmen. Fragen an Dr. med. Teut.

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