Skandal in Bad Dingenskirchen!

Als ich das Schwesternzimmer betrete, wurde es plötzlich still. Es war die Art von Stille, von der man weiß, dass sie noch keine zwei Sekunden lang bestanden hatte. Jeder einzelnen der Schwestern war es an der Nasenspitze anzusehen, dass sie etwas wussten, von dem ich noch keine Ahnung hatte.
„Ist was?“ fragte ich nach Montagmorgenmuffeligem Gruß.
„Kaffee, Herr Doktor?“
Wenn Schwester Gaby mich ‘Herr Doktor’ nennt, dann stimmt irgendwas nicht. Ich nahm mir eine leere Tasse.
„Gerne. Also, was ist los?“
Schwester Gaby schenkte mir ein.
„Milch und Zucker, Herr Doktor?“
Ich setzte mich.
„Erzählt schon! Was ist los?“
Schwester Gaby, Schülerin Jenny und die Stationshilfe Waltraud starrten einander an. Maximal zehn Sekunden noch, und dann würden sie losprusten. Sie brannten darauf, mir die Neuigkeit – was auch immer es ein mochte – zu erzählen. Maximal zehn Sekunden noch! Aber ich tat ihnen den Gefallen.
„Also, ich bin ganz Ohr!“
„Eigentlich geht uns das ja gar nichts an…“
„Aha?“
„Und eigentlich sollte man so etwas auch gar nicht weitererzählen…“
„Tut Euch keinen Zwang an!“
„Abgesehen davon ist es ja eigentlich… eigentlich fällt es unter die Schweigepflicht…“
„Dann will ich nichts gehört haben!“
„Er ist ertappt worden!“ prustete Jenny los.
„Wer?“
„Na, unser sauberer Herrn Oberarzt!“
Fast hätte ich mich verschluckt. Oberarzt Biestig hat sich weder durch übermäßige Fachkompetenz noch durch übermäßig sympathiegewinnende Verhaltensweisen hervorgetan.
„Wobei hat man ihn ertappt? Wer überhaupt? Und was soll er angestellt haben?“
„Er war bei Madame Jaqueline?“
„Wie bitte?“
„Du kennst doch Madame Jaqueline!“
Was sollte diese Frage? Jeder in Bad Dingenskirchen kennt Madame Jaqueline und ihren ‘Pussycat Club’ mit dem riesigen pinkfarbenen Leuchtreklame im Gewerbegebiet an der Autobahn.
„Unser Oberarzt Biestig hat einen Hausbesuch bestellt…“
„Ach!“
Ich wusste gar nicht, dass es neben Hausärzten und Pizza-Service auch andere Dienstleister noch Hausbesuche anbieten. Jenny war in ihrem Element.
„…gleich zwei Freudenmädchen auf einmal wollte er haben. Und es heißt, er hatte ziemlich spezielle Wünsche…“
Man muss wissen, dass die Jenny das ziemlich allergrößte Lästermaul von Bad Dingenskirchen hat und damit auch schon ein paarmal ganz schön ausgerutscht ist.
Und mit Biestig hat sie offenbar sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen
Ich nahm einen Schluck Kaffee und bemühte mich, möglichst gleichgültig dreinzuschaun.
„Was geht mich das an?“
„Mein Freund hat es mir erzählt!“ erzählte Jenny weiter, „Sein bester Kumpel arbeitet ja beim ‘Dingenskirchener Anzeiger’. Dem haben sie Photos zugespielt. Da ist alles drauf…“
Der ‘Dingenskirchener Anzeiger’ ist nicht unbedingt für Qualitätsjournalismus bekannt. Und abgesehen davon… es handelte sich hier offenbar um eine Geschichte aus dritter oder vierter Hand, der Wahrheitsgehalt dürfte eher fragwürdig sein. Ich bemühe mich um Nonchalance.
„Und Ihr glaubt diesen Mist?“
Ich trinke meine Tasse aus, spüle sie sorgfältig und stelle sie zurück.
„Warum nicht?“
„Wahrscheinlich ist an der Geschichte doch nichts dran!“
„Aber wenn doch? Ein Skandal wäre es schon…“
Kopfschüttelnd velasse ich den Raum.

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