Die Rückmeldungen auf meinen Artikel über die Carotis-Stenose veranlassen mich zu einer kleinen Ergänzung, weil meiner Meinung nach Aufklärung die klassische Aufgabe eines Hausarztes ist.
1. Wie kommt es zur Untersuchung der Carotiden (Mehrzahl von Carotis)?
Nicht ganz zu Unrecht kam die Frage auf, dass die technische Untersuchung der Halsschlagader Gründe haben muss, also Beschwerden vorangegangen sein müssen. Ich würde sagen: Gründe – ja, Beschwerden – möglichlicherweise.
Beschwerden von Patientenseite, die gegenüber dem Hausarzt zum Untersuchungswunsch führen, sind häufig Schwindel und Vergesslichkeit. Beide Symptome haben mit einer Durchblutungsstörung der Carotis wenig zu tun. Schwindel ist, wie ich schon schrieb, ein Symptom aus dem Bereich der hinteren Nackenblutgefäßversorgung – hat also nichts mit der Carotis zu tun. Vergesslichkeit ist, wenn sie überhaupt von Durchblutungsstörungen verursacht wird, ein mikroangiopathisches Symptom – also ein Problem der mikroskopisch kleinen Blutgefäße. Die Carotis hat aber das Kaliber eines Bleistiftes.
Ärztliche Gründe für eine Untersuchung der Carotis können tatsächlich im Medizinischen liegen(hoffen wir das Beste). Anderseits spielen auch Dinge, wie Amortisation (Wirtschaftlichkeit der Apparatur, sprich Kosten-Nutzen) und Zufriedenstellen des Patienten eine Rolle. Ein nicht zu unterschätzendes Untersuchungsmotiv ist heutzutage unter Ärzten sehr verbreitet (und die Patienten sind vordergründig meist dankbar dafür). Das moderne Motiv heißt: Einfach mal alles untersuchen, was machbar ist und was im entferntesten in Frage kommt. Dass man auch Ergebnisse bekommt, die man dann irgendwie handhaben muss, macht man sich häufig nicht klar.
2. Krankheit und Angst = Krankheitsangst
Geschrieben wurde in den Kommentaren zum letzten Artikel von der psychischen Belastung, zu wissen, dass die eigene Halsschlagader möglicherweise zu 100% verstopft ist, und dann die Stabilität zu besitzen, nichts Operatives zu machen oder machen zu lassen.
Wenn es an die Zentren des Lebens geht, wird der Mensch empfindlich, und zwar nicht nur der Patient. Der Arzt ist auch nur ein Mensch. Zurückhaltung ist hier schwieriger als Aktionismus, trotzdem wird Aktionismus dadurch nicht richtiger. Das Gleiche gilt für Erkrankungen des Herzens (hierzu kommen wir noch in späteren Artikeln). Für umso wichtiger halte ich deswegen ein vertrauensvolles Patienten-Arzt-Verhältnis. Wer, wenn nicht der Hausarzt, soll einem denn die Ängste nehmen?
Das Thema kann man noch ausweiten, weil Krankheitsängste nicht bei den Zentren des Lebens Halt machen. Je nach Charakter oder psychischer Stabilität geht das runter bis zu medizinischen Lapalie, die einen ängstigen kann. Deswegen werde ich als Arzt doch nicht auf die Idee kommen, beispielsweise ein Antibiotikum zu verschreiben, wenn jemand Angst vor einer harmlosen weißen Stippe auf der Mandel hat. Hier heißt es, Sorgen nehmen und nicht Rezeptblock zücken. Aber Sorgen nehmen dauert länger als ein Rezept ausstellen. Genau daran krankt unser System. Zeit. Zeit ist ein wichtiger Faktor in der Medizin. So lange es aber für Hausärzte ganz normal ist, tausend Patienten durchs Quartal zu führen, so lange wird es überflüssige Untersuchungen (als Verschiebetaktik) und überflüssige Medikationen und Operationen (im Sinne des Aktionismus) geben.