Der Patient kommt nicht

Anruf zu nächtlicher Stunde. Ein Hausarzt ist dran, genauer gesagt der Kollege vom hausärztlichen Notdienst.
„Ich schicke Ihnen gleich einen Patienten!“ sagt er nach kurzer Begrüßung. Warum sonst sollte er auch nachts um halb zwei anrufen? Aber immerhin ruft er an und schickt ihn nicht einfach rein, womöglich noch ohne ihn gesehen zu haben. Sowas gabs ja auch schon.
„Aha?“
„Verdacht auf Lungenentzündung.“
„Okay…“
Er zögert eine Sekunde.
„Hohes Fieber, Husten, Atemnot… der gefällt mir einfach nicht…“
Es wirkt fast entschuldigend.
„Alles klar, schicken Sie ihn rein!“
Ich will das Gespräch endlich beenden, dann könnte ich mich noch ein paar Minuten lang im Bett umdrehen bevor der Patient anrollt.
„…es geht ihm ziemlich schlecht. Fast schon eine Sache für den Notarzt, aber der Patient will nicht… will noch nicht einmal, dass ich einen Krankenwagen bestelle…“
„Warum?“
„Er hat Angst vorm Krankenhaus. Hat Angst, da nicht mehr rauszukommen. Er ist extrem agitiert, fast schon psychotisch. Eine… sagen wir mal merkwürdige Persönlichkeitsstruktur… wahrscheinlich auch Alkoholiker…“
„Also betrunken?“
„Nein, nein, das nicht… zumindest nicht offensichtlich… aber… er ist einfach komisch…“
Ich kann mir nur zu lebhaft vorstellen, was er meint.
„Wie käme er denn überhaupt her, wenn nicht im Krankenwagen?“
Ich stehe auf. Ich bin jetzt eh wach und an Schlaf ist nicht mehr zu denken.
„Er sagt, ein Freund wird ihn bringen.“
„Also gut. Ich warte.“
Er legt auf.
Ich werfe den Kittel über und gehe hinauf auf Station. Vielleicht gibts da frischen Kaffee.
Was es allerdings nicht gibt, ist der Patient. Der kommt nicht. Die ganze Nacht lang nicht. Ob er tot in irgendeiner Ecke liegt?
Muss ich ein schlechtes Gewissen haben?

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