Einschlaf-Gegrübel

Gestern Abend ist mir das Einschlafen sehr schwer gefallen. Ich bin sowieso nicht die typische Kopf-auf-Kissen-weg-bin-ich-Schläferin, aber gestern Abend wusste ich irgendwann nicht mehr, ob mir so viele Gedanken im Kopf kreisen, weil ich nicht einschlafen kann, oder ob ich nicht einschlafen kann, weil die Gedanken kreisen.

Ich bin nun fast 2 1/2 Jahre hier in Frankfurt und mein Abschied von Aachen war sehr zweigeteilt. Ich war mir sicher, dass ich mein berufliches Umfeld vom Arbeitsklima her gesehen, nicht vermissen würde und ich behielt Recht. Ich war mir sicher, Aachen als sehr Stadt zu vermissen und auch damit behielt ich Recht. Was „meine “ Kinder anging, war ich mir nicht ganz schlüssig… Sicher, es gab ein paar, bei denen ich mir sicher war, ganz froh zu sein nun erstmal etwas Abstand zu bekommen. Dann gab es einige, die ihre Therapie beendet hatten und bei denen ich mit meinem Weggehen aufatmen konnte, denn somit blieb mir die Hoffnung, sie müssten auch nicht erneut in die Klinik und wenn… naja, dann würde ich es wohl als Letzte erfahren…

Bei einer guten Handvoll allerdings, war der Abschied schon länger vor meinem Weggang von Station geschehen und die haben mir gestern Abend im Bett, allein im Dunkeln, mit den bösen, kreisenden Gedanken das Herz schwer gemacht…

Die Arbeit in Aachen kann man mit der in Frankfurt nicht vergleichen, dazwischen liegen Welten. Jede für sich hat ihre Vor- und ihre Nachteile, keine Frage, aber einer der großen Vorteile in Aachen war, so seltsam es klingt: die beengende, räumliche Situation und der Mirarbeitermangel. Denn dadurch erzwungen, habe ich im Schnitt täglich zwischen 6 und 8 Patienten (im schlimmsten Fall dann 10) versorgt, was immer die Hälfte unserer Station betrug. Dadurch und durch den seltenen „Seitenwechsel“, da man ja nun dann auch lieber jeden Tag dieselben Kinder versorgt hat, entstand ein sehr inniges Schwester-Patienten Verhältnis, was ich in dieser Art in Frankfurt nie wieder aufbauen konnte. Sicher gibt es auch in Frankfurt Kinder die mir ans Herz gewachsen sind, aber allein schon durch die strengen Regeln der Aachener Onkologie, lagen die kleinen Patienten oft wochenlang auf Station, mit Indikationen, die in Frankfurt gerade mal die Berechtigung für wenige Tage haben.

Mal ein paar Beispiele, für die die sich in unserem Arbeitsfeld auskennen:

In Aachen wurden Kinder deren Thrombos unter 30.000 gefallen waren aufgenommen. Aus Sicherheitsgründen. Es war nicht so, dass sie dann auch ein TK bekommen hätten, dafür war das „Infektionsrisiko“ und andere Gründe zu schwerwiegend, sodass man also schon mal gut eine Woche abgewartet hat, bis die Thrombos entweder wieder anstiegen, oder eben tief genug fielen um die Substitution zu rechtfertigen.

Im Protokoll I der ALL-Therapie (ich glaube zumindest das es Protokoll I ist… auch schon wieder lange her, dass ich die im Schlaf runterbeten konnte) beginnen nach der Mitte des Protokolls die Alexan-Blöcke. Bedeutet: am 1. Tag eine LP und Endoxan, damit verbunden 24h-Wässerung und ab Tag 3 dann 4 Alexane (jeden Tag eins). Mal abgesehen davon, dass die Kinder in Frankfurt nach der Wässerung gehen können und dann jeden Tag in die Ambulanz kommen um sich ihr Alexan im i.v.-Push „abzuholen“, können sogar manche LP’s unten in der Ambulanz stattfinden, sodass man selbst Kinder im ersten Protokoll, also eigentlich einer recht „akuten“ Phase ihrer ALL kaum auf Station sieht, nachdem die Vorphase gelaufen ist…

Vergleich Aachen: Hier wurden die Kinder oft bis zum Tag 33 konserviert, je nach klinischer Situation (was aber nicht selten vorkam), sie blieben bei LP eine Nacht und die Alexanblöcke komplett auf Station, da das Alexan über 1h gegeben wurde und der Aufwand des An- und Abstöpselns des Hickis zu aufwändig gewesen wäre (Zur Erklärung: Aachen hat weder eine onkol. Ambulanz, noch eine Tagesstation, dort gibt es nur eine Poliklinik, besetzt mit einem Arzt und einer Schwester). Ausserdem sollte erwähnt werden, dass dort die Ärzte das An- und Abstöpseln der Hickis übernahmen und somit Kinder auch nicht „eben mal“ abgestöpselt wurden, das war schon mit einigem Aufwand verbunden.

Versteht mich nicht falsch, ich könnte mich nun Stunden über das Für und Wieder auslassen und könnte mich wahrscheinlich doch nicht zu einer Entscheidung durchringen, welches System nun das bessere ist. Ich habe im Nachhinein einige der Gewohnheiten der Aachener Kinderklinik zu schätzen gelernt auf die ich immer so geschimpft habe und umgekehrt, finde ich nun die Frankfurter Arbeitsweise auch nicht mehr so unfehlbar, wie ich sie aus dem Blickwinkel der Aachener Klinik gesehen habe.

Der Punkt auf den ich hinaus wollte (vor langer, langer Zeit) war einfach der, dass man zu den Kindern eine ganz andere Bindung aufbauen konnte. Mit der damaligen 42-Stunden Woche, hatte ich das Gefühl, jeden Tag mit ihnen zu verbringen und wenn sie so lange auf Station lagen, wie es nun einmal üblich war, dann konnte das Verhältnis schon ganz schön intensiv werden…

Ich denke, dass es meine „ersten“ Patienten waren, nachdem meine Ausbildung beendet war und ich eine „richtige Schwester“ war, hat auch viel dazu beigetragen. Ich konnte am Anfang gar nicht die nötige Distanz aufbauen, die ja in unserem Beruf immer so hoch gepriesen wird. Leider erklärt einem nämlich in der Ausbildung niemand wie das funktioniert und so muss man es auf die harte Weise, von Grund auf selbst lernen.

Mir fallen nun bestimmt zwei Hände voll Kinder ein, die mir in den zwei Jahren auf der Aachener Kinderonkologie sehr ans Herz gewachsen sind und von denen ich mich früher oder später verabschieden musste. Und das was mich gestern Abend am traurigsten gemacht hat war, dass ich sie mit niemandem mehr teilen kann. Reden ist in unserem Beruf meiner Meinung nach der Teil, der am meisten zum Verarbeiten beiträgt. Zum Verabschieden. Zum Loslassen können. Und das fehlt.

Ich habe zu keiner der Aachener Schwestern mehr Kontakt und die Freundinnen die ich hier in der Frankfurter Klinik gefunden habe, würden zwar den medizinischen Hintergrund verstehen, aber sie kennen die Kinder nun mal nicht. Und mir ist gestern erst bewusst geworden, wie sehr es manchmal hilft, die Erinnerungen zu teilen, die einem teilweise noch so lebhaft vor Augen herumschwirren, als wären sie erst gestern entstanden. Manche lassen dich nie mehr los. Gute und schöne genauso wie die schlimmen. Und trotzallem, trotz dem Loslassenmüssen, dem Vermissen und dem „was war“  Nachtrauern, bin ich froh das ich mir vor 8 Jahren diesen Beruf ausgesucht habe. Ich hätte diese Kinder, diese tollen kleinen Persönlichkeiten, diese Kämpfer und Krieger nie kennengelernt. Mir würde sonst noch viel mehr fehlen, wahrscheinlich auch von mir selbst!

In solchen Momenten, in denen ich erkenne wie erfüllend mein Beruf für mich war und immer noch ist, würde ich sofort die Bücher wieder dafür eintauschen…

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