Freitag Nachmittag, sechzehn Uhr.
Medizynicus macht sich auf, um ins Wochenende zu starten. Er hat sich schon umgezogen und ist nur noch einmal kurz in die Stationsküche zurückgekehrt um mit Schwester Anna ein wenig Smalltalk zu machen und ein wenig mit Jenny zu flirten.
„Schwester?“
Eine männliche Stimme vom Dienstzimmer nebenan.
Jenny geht rüber und Medizynicus wirft ihr einen kurzen Blick hinterher. Ein stabil gebauter Typ steht da in der Tür. Fleckiges Holzfällerhemd, Cordhose, wettergegerbte Haut, schlechte Zähne und allmählich schon schütter werdendes Haar.
Jenny kommt zurück.
„Du, kannst Du mal kommen…?“
Der Enddreißiger nimmt seine Mütze ab, senkt seinen Blick und streckt mir die rechte Hand entgegen.
„Guten Tag, Herr Doktor. Hätten Sie vielleicht eine Herztablette?“ sagt er höflich.
„Wie bitte?“
„Eine Herztablette! Sowas muss es hier doch geben!“
„Ähem… ja… worum geht’s denn genau?“
„Um meinen Vater.“
Der Vater ist um die Achtzig und eigentlich nur Besucher, aber er ist fast Tag und Nacht hier um bei seiner Frau sein zu können. Seine Gattin, das ist die Frau Einödsbauer, welche wir doch noch nicht entlassen haben, weil sie hier auf Station plötzlich einen fieberhaften Infekt bekommen hat. In Einödshofen geht seitdem das Gerücht um, es handele sich um die Schweinegrippe. Ist es aber nicht. In Wirklichkeit ist es nur eine ganz normale Pneumonie, wobei fraglich ist, welche von den beiden wohl mit größeren Gefahren einhergeht.
„Aha?“
„Dem Vater, dem geht’s gerade nicht so gut.“
Eigentlich habe ich jetzt Feierabend. Eigentlich bin ich gar nicht mehr hier. Sarah hat Dienst. Wo steckt die bloß?
„Was fehlt ihm denn?“
„Ich glaube, er hat einen Herzanfall!“
Ich werfe Jenny einen vielsagenden Blick zu.
Zehn Minuten später liegt Herr Einödsbauer Senior auf der Intensivstation.
Es war tatsächlich ein akuter Vorderwandinfarkt. Und jetzt warten wir auf den Hubschrauber, der ihn in die Uni-Klinik Weissgottwohausen zur Coronarangiographie bringt.
So weit weg von Einödshofen… das war er in seinem ganzen Leben noch nicht.