Ja, wie ging’s weiter?
Ich stehe also an einem winzigen Bistrotisch im fünften Stock des Ärztepalastes, schlabbere lauwarmen ungenießbaren Kaffee, kaue auf einem Wurstbrötchen herum und genieße den Blick auf die Stadt. Ich bin früh dran, noch ist kaum wer da. Nachdem ich mit dem Stadt-Blick-Genießen also fertig bin, nehme ich mir eine zweite Stulle und dazu ein Fläschchen O-Saft und schaue in meine Kongressmappe. Die ist voll von dicken Hochglanzpappen auf denen vorne irgendwelche Pharma-Slogans stehen, in der Mitte dann Tabellen und Säulendiagramme und hinten dann ganz kleingedruckt die Nebenwirkungen der betreffenden Pillen. Ich lasse die Dinger diskret in den nächstgelegenen Papierkorb gleiten.
Nur das Seminarprogramm behalte ich.
Da habe ich doch gleich eine Frage! Vertrauensvoll wende ich mich an die Anmeldedame.
„Entschuldigung…“
„Ja?“
„Ähem… die Tagung fängt um zehn Uhr an?“
„Richtig!“
„Und hört um siebzehn Uhr auf?“
„Genau!“
„Und zwischendurch gibts eine Stunde Mittagspause und zweimal eine Viertelstunde Kaffepause?“
„Das steht doch alles im Programm.“
„Eben. Und da steht auch, dass die Tagung acht Stunden dauern soll… also, acht Stunden plus Pausen macht nach Adam Riese…“
Immerhin muss ich ja heute noch den letzten Zug zurück nach Bad Dingenskirchen erwischen.
Die Dame lächelt geheimnisvoll.
„Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Trinken Sie lieber noch in Ruhe einen Kaffee. Wir fangen nämlich etwas später an…“
Inzwischen ist es längst zehn Uhr dreißig geworden. Und die anderen Kollegen sind auch aufgetaucht, stehen an den Bistrotischen, tun so als ob sie in den Seminarunterlagen blättern oder den Blick genießen würden oder starren einfach nur Löcher in die Luft.
Um zehn Uhr fünfunddreißig werden wir gebeten, im Seminarraum Platz zu nehmen und fünf Minuten später kommt der Dozent, ein wenig Atemlos. Die Anmeldedame folgt ihm auf dem Fuß und trägt ihm ein kleines Tablett mit zwei Brötchenhälften, einer Tasse Kaffee und einem Glas Wasser hinterher.
Tipp, Tipp, ans Mikrofon.
„Guten Tag, können Sie mich hören?“
Mikro geht natürlich nicht, aber hören können wir ihn trotzdem.
Er entschuldigt sich, hat im Stau gestanden oder was weiß ich, jedenfalls können wir gleich loslegen, und zwar mit einem dreiseitigen Multiple-Choice-Quiz. Während wir fleißig Kreuzchen machen, mampft der Dozent seine Brötchen. Gut gelaunt sammelt er dann die Zettel ein.
„So, und jetzt mache ich Ihnen einen Vorschlag!“ beginnt er dann, „Wie Sie wissen, werden Ihnen heute Fortbildungspunkte für eine achtstündige Veranstaltung bescheinigt. Aber natürlich weiß ich, dass Sie und ich gerne pünktlich nach Hause möchten. Also, das einstündige Rollenspiel am Nachmittag, das schenken wir uns. Und den Statistik-Kram am Vormittag auch. Ja, und dann schlage ich vor, dass ich Ihnen von den restlichen dreihundert Power-Point Folien nur die Hälfte zeige, dann brauchen wir die Pausen nicht zu sehr zu kürzen. Sind Sie einverstanden?“
Keiner wagt zu widersprechen. An die zweihundert Euro Seminargebühren denke ich jetzt lieber nicht.