Was genau ist Neuraltherapie? Nutzen, Risiken und wissenschaftliche Bewertung. Interview mit Dr. Hahn-Godeffroy.

Die Neuraltherapie ist neben der Homöopathie, Akupunktur und Anthroposophischen Medizin die vierte bedeutende und weit verbreitete komplementärmedizinische Methode. Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Neuraltherapie? Bei welchen Krankheitsbildern hat sich die Neuraltherapie bewährt? Welche Risiken und möglichen Nebenwirkungen gibt es? Wie wird die Neuraltherapie aus wissenschaftlicher Sicht bewertet? Ziel dieses Beitrags ist es, ein wissenschaftlich abgesichertes Bild der Neuraltherapie zu vermitteln. Zu Beginn führt ein Interview mit dem Hamburger Pharmakologen und Facharzt für Innere Medizin Dr. med. Hahn-Godeffroy kurz in das Thema ein. Danach folgt eine im Moment noch in der Entstehung befindliche Linkliste. Hier stellen Ihnen Experten Quellen zur Verfügung, die einzelne Fragen detailliert beantworten.




Interview mit Dr. med. Hahn-Godeffroy

Dr. med. Johann Diederich Hahn-Godeffroy ist seit 1975 Facharzt für Pharmakologie sowie seit 1980 Facharzt für Innere Medizin. Er hat eine Praxis für Innere Medizin, Naturheilkunde und Neuraltherapie nach Huneke in Hamburg Blankenese. Hahn-Godeffroy ist Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der Internationalen Gesellschaft für Neuraltherapie nach Huneke (IGNH).

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Herr Dr. Hahn-Godeffroy, was genau ist Neuraltherapie?

Dr. med. Hahn-Godeffroy: Neuraltherapie ist ein ärztliches Behandlungsverfahren, das auf die Behebung von oftmals organübergreifenden Funktionsstörungen gerichtet ist. Deren Ursache sind letztlich Störungen der Gewebedurchblutung, sei es an äußeren Organen wie Haut, Muskeln und Gelenken, sei es an inneren Organen. Die Behebung solcher  Perfusionsstörungen kann am Ort der Erkrankung selbst erfolgen, das nennen wir Segment-Therapie, oder aber durch „Löschung“ fernab liegender Störfelder.

In der Fachliteratur zur Neuraltherapie ist immer wieder die Rede vom sympathischen Nervensystem. Warum?

Dr. med. Hahn-Godeffroy: Die Neuraltherapie bedient sich der Tatsache, dass alle Zellen, sozusagen „von Haarspitze bis Großzehe“, über das sympathische Nervensystem miteinander verbunden sind. Dieses sympathische Nervensystem mit seinen vielen feinsten Verästelungen verbindet alle Organe des Körpers miteinander.

Aus Sicht der Neuraltherapie kann eine gesundheitliche Störung am Darm, an einem Kieferknochen oder an den Nebenhöhlen eine gesundheitliche Störung an ganz anderer Stelle unterhalten, z. B. am Knie oder am Herzen oder an der Gebärmutter. Und zwar unter Vermittlung des sympathischen Nervensystems.

Und diese Störungen werden im Rahmen der Neuraltherapie behandelt?

Dr. med. Hahn-Godeffroy: Genauso ist es. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Störfeldtherapie.

Wie gehen Neuraltherapeuten bei einer Behandlung vor?

Dr. med. Hahn-Godeffroy: Durch sorgfältige körperliche Untersuchung und eine sehr genaue Erhebung der Krankengeschichte versuchen neuraltherapeutisch ausgebildete Ärzte herauszufinden, welche Funktionsstörungen an allen möglichen anderen Organen die eigentliche Ursache für eine aktuelle Haupterkrankung sein könnten.

So eine Störfeldsuche ist ausgesprochen anspruchsvoll und erfordert viel Erfahrung, weil das Störfeld selbst oft gar keine Beschwerden mehr macht. Es kann z. B. eine winzige, längst vergessene Narbe sein oder geringfügige Restzustände einer alten Mandelentzündung, die der Patient als ausgeheilt empfindet, obwohl die jeweilige Störung nicht zu 100 Prozent sondern nur zu 95 Prozent ausgeheilt ist.

Diese Störfelder umspritzt der Arzt dann mit Procain und koppelt damit vorübergehend das Störfeld und die von ihm vermehrt ausgehenden Sympathikusimpulse ab. Bessert sich dadurch die Haupterkrankung – z. B. die Herzrhythmusstörungen – oder verschwindet sie gar ganz, so ist das schuldige Störfeld gefunden.

Wie beeinflussen Sympathikusimpulse meine Gesundheit?

Dr. med. Hahn-Godeffroy: Die feinen Verästelungen des Sympathikus umschlingen jedes noch so kleine Blutgefäß und bestimmen seine Weit- oder Engstellung und damit die Gewebedurchblutung. Bereits allerkleinste Entzündungsreize führen zu vermehrter Sympathikuserregung und als Folge davon zu einer Gefäßengstellung. Die damit verbundene Funktionsstörung kann sich in fernabliegende Regionen des Körpers fortleiten und dort Erkrankungen unterhalten. Durch die neuraltherapeutische Behandlung wird die Sympathikuserregung kurzzeitig unterbrochen, sodass sich ein Selbstheilungsprozess einstellen kann.

Wie dieser Selbstheilungsprozess genau funktioniert, das ist wissenschaftlich noch unzureichend erforscht. Sehr gut dokumentiert ist hingegen die Tatsache, dass es zu nachhaltigen – nicht selten beeindruckenden – Therapieerfolgen kommt.

Welche Rolle spielt hier Procain?

Dr. med. Hahn-Godeffroy: Procain ist das Mittel, das wir Neuraltherapeuten benutzen, um krankmachende Übererregungen des Sympathikus gewissermaßen abzukoppeln. Sei es an Narben, sei es an tieferliegenden Nervenknoten oder an bestimmten Hirnstrukturen.

Procain wurde vor über 100 Jahren ursprünglich als Lokalanästhetikum zur örtlichen Betäubung erfunden. Als solches ist es, weil viel zu schwach, aber schon fast seit 60 Jahren „out“.

Heute wird Procain wegen seiner Sympathikus-lösenden Wirkung eigentlich nur noch in der Neuraltherapie verwendet. Aber da mit großem Erfolg. Und wegen seiner sonstigen guten Wirkungen: Entzündungshemmung, Durchblutungsförderung, Stimmungsaufhellung und wegen seiner reharmonisierenden Wirkung am limbischen System des Gehirns.

Wie sieht es mit den Nebenwirkungen von Procain aus?

Dr. med. Hahn-Godeffroy: Was diese Frage angeht, so wurde in der Vergangenheit viel Unsinn verbreitet. Und es gibt noch immer Leute, die aus längst veralteten Lehrbüchern von der hohen Allergierate des Procains plaudern oder von einer Paragruppen-Allergie, die in Wirklichkeit eine Lehrbuch-Ente ist.

Aber natürlich hat auch Procain wie jedes Heilmittel Nebenwirkungen. Selbst bei Kamillentee ist ein Fall von Allergieschock dokumentiert.

Mein Kollege Dr. med. Hans Barop und ich haben innerhalb von mehr als 20 Jahren ca. 2.000 Liter Procain einprozentig injiziert. In diesem Zeitraum haben wir keine einzige schwere allergische Reaktion erlebt. Trotzdem gilt jedoch: Jede Ärztin und jeder Arzt sollte auf die Beherrschung auch der seltensten Zwischenfälle in seiner Praxis vorbereitet und entsprechend ausgestattet sein. Wichtig ist auch eine fundierte Ausbildung, welche u. a. präzise Kenntnisse der jeweiligen Anatomie vermittelt.

Die Risiken der Neuraltherapie sind also gering?

Dr. med. Hahn-Godeffroy: Die Risiken sind dann extrem gering, wenn die Neuraltherapie lege artis bzw. nach den Regeln der ärztlichen Kunst praktiziert wird. Procain zerfällt am Ort der Injektion innerhalb weniger Minuten in zwei ungiftige Bestandteile, die vom Körper leicht abgebaut werden können. Besteht Verdacht auf eine erhöhte Allergizität, so kann eine kleine Testinjektion vorgenommen und überwacht werden.

Auf der Homepage des Instituts für Naturheilkunde und Traditionelle Chinesische Medizin (ambulantes Behandlungszentrum an den Kliniken Essen-Mitte / Knappschafts-Krankenhaus) werden die Nebenwirkungen der Neuraltherapie mit folgenden Worten umschrieben: „Bei guter Kenntnis der Anatomie, der Injektionstechniken und bei Einhaltung der Höchstdosen handelt es sich um eine äußerst risikoarme Therapieform.“

Herr Dr. Hahn-Godeffory, vielen Dank für dieses Gespräch.

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(Das Interview führte Claus Fritzsche.)

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Bei welchen Erkrankungen hilft die Neuraltherapie?

Für Laien und Patienten:

Für medizinische Fachkreise:

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Wann darf die Neuraltherapie nicht durchgeführt werden?

„Falls eine Allergie gegen das Lokalanästhetikum Procain besteht, diese ist jedoch sehr selten. Bei Blutgerinnungsstörungen oder wenn blutverdünnende Medikamente eingenommen werden, dürfen insbesondere die tiefen Injektionen der Neuraltherapie nicht durchgeführt werden.“ (Quelle: Health Technology Assessment Neuraltherapie nach Huneke, Seite 10)

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Wie finde ich qualifizierte Ärzte für Neuraltherapie?

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Wie wird die Neuraltherapie wissenschaftlich bewertet?

Die bisher umfassendste wissenschaftliche Bewertung der Neuraltherapie fand im Rahmen des vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) der Schweiz initiierten „Programm Evaluation Komplementärmedizin“ (PEK) statt. Ziel des PEK war es, die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit verschiedener komplementärmedizinischer Verfahren nach den Prinzipien eines sogenannten Health Technology Assessments (HTA) zu bewerten. Das PEK bestand aus einem Feldstudienprojekt und einem Literaturprojekt. Die wissenschaftliche Begleitung erfolgte durch einen Lenkungsausschuss, eine Expertengruppe und ein international besetztes Reviewboard.

Die im Januar 2005 publizierten Ergebnisse des Health Technology Assessments (HTA) zur Neuraltherapie stehen der Öffentlichkeit im Internet als Download zur Verfügung. (Copyright: Bundesamt für Gesundheit (BAG) der Schweiz)

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HTA Neuraltherapie (gekürzte Version):

Zusammenfassung Health Technology Assessment Neuraltherapie von Prof. Dr. med. Lorenz Fischer (PDF, 36 Seiten)

HTA Neuraltherapie (Vollversion):

Health Technology Assessment Neuraltherapie nach Huneke im Rahmen des Programm Evaluation Komplementärmedizin (PEK) des Schweizerischen Bundesamtes für Gesundheit, Januar 2005, Prof. Dr. med. Lorenz Fischer, Dr. med. Hans Barop, Dr. med. Stefanie Maxion-Bergemann (PDF, 379 Seiten)

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An welchen Universitäten wird die Neuraltherapie erforscht bzw. gelehrt?

Universität Bern: Kollegiale Instanz für Komplementärmedizin (Forschung und Lehre)

Universität Heidelberg: UniversitätsKlinikum, Abulanz für Naturheilkunde (Lehre)

NEU: Universität Berlin: Charité, Ambulanz für Prävention und Integrative Medizin (Forschung geplant)

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Dr. med. Johann Diederich Hahn-Godeffroy ist seit 1975 Facharzt für Pharmakologie sowie seit 1980 Facharzt für Innere Medizin. Er hat eine Praxis für Innere Medizin, Naturheilkunde und Neuraltherapie nach Huneke in Hamburg Blankenese. Hahn-Godeffroy ist Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der Internationalen Gesellschaft für Neuraltherapie nach Huneke (IGNH).

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