Ganz selbstverständlich nutzt man am laufenden Band die verschiedensten technischen Plattformen. Wenn dann der Computer mal abstürzt oder der Fahrkartenautomat “out of order” ist, raufen wir uns die Haare und schimpfen auf die Technik. Dabei sind das harmlose Sperenzchen. Andere haben beständig gravierendere Probleme mit der Technik. Ein Blinder kann keinen Text auf dem Bildschirm lesen. Bei einer motorischen Beeinträchtigung hilft die normale Computermaus nicht weiter. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten erscheinen Websites meist einfach nur als Fachchinesisch. Gerade heute, wo computergestützte Kommunikation immer mehr ins Gesundheitswesen einzieht, Telematik und eHealth in aller Munde sind, dürfen Menschen mit Behinderungen nicht wegen unbedachter Technik-Designs ausgegrenzt werden.
Doch wo Probleme sind – werden Lösungen zumindest eifrig gesucht. Der 29. Dialog eHealth in Hamburg gab einen Überblick über mannigfaltige Initiativen mit einem gemeinsamen Ziel: Gesundheitsdaten barrierefrei zugänglich machen. Menschen mit und ohne Behinderungen, Produktentwickler und Zielgruppe trafen sich, um Ideen vorzustellen, Probleme aufzuspüren und gemeinsam Verbesserungsmöglichkeiten zu finden.
Maussteuerung per Mund
Und zu tun ist viel, das zeigte zum Beispiel der Referent von BIK@work, einem Gemeinschaftsprojekt der deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbände DBSV und DVBS, klipp und klar. Das Projekt wurde ins Leben gerufen, um über die Anforderungen an barrierefreie Webangebote und IT-Anwendungen aufzuklären und so behindertengerechte Arbeitsplätze zu schaffen. Die Liste von zu Beachtendem ist lang, Hürden lauern überall: Menschen mit Sehbehinderungen zum Beispiel sind darauf angewiesen, sich Text mit speziellen Programmen vergrößern zu lassen. Ist der Text dafür nicht angelegt, werden Umbruch und Layout zerstört. Für Blinde gibt es spezielle Screenreader, die Geschriebenes vom Bildschirm ablesen. Doch bei Grafiken (oft wird auch Text als Grafik dargestellt) ohne Erläuterung müssen selbst diese passen – die Information geht verloren. Auf der anderen Seite ist es aber auch beeindruckend, welche Erfindungen Behinderten bereits die PC-Arbeit ermöglichen: von Braillezeilen, die Text in Blindenschrift umwandeln, über griffige Tastaturen für Menschen mit Sehbehinderungen bis hin zum Cursor, der mit dem Mund bewegt werden kann.
Das Portal Einfach-teilhaben.de des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales hat viele der Leitlinien zur Barrierefreiheit bereits umgesetzt. Die Webseite ging im Sommer 2009 an den Start, um Menschen mit Behinderungen Hilfe in verschiedenen Lebenslagen zu bieten. Diese Hilfe gibt es zum Beispiel nicht nur in der “Alltagssprache”. Menschen mit kognitiven Schwächen können sich per Button zu “Leichter Sprache” klicken. Getüftelt wird darüber hinaus an einem Avatar, der Schrift automatisch in Gebärdensprache übersetzt. Warum? Für Gehörlose ist unsere Sprache, selbst in geschriebener Form, wie eine Fremdsprache gegenüber der im Alltag verwendeten Gebärdensprache.
Barrierefreiheit – ein großes Thema auch für die Entwickler der elektronischen Gesundheitskarte. Versicherte sollen künftig an eKiosken ihre gespeicherten Daten verwalten können – doch was hilft das, wenn der Service Menschen mit Behinderungen unzugänglich ist? Die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik) lud Gäste explizit dazu ein, einen eKiosk zu testen – mit aller notwendigen Kritik.
Ein schönes Gefühl, in einem solch beflügelnden, dialogreichen Umfeld auch unser eigenes Projekt Barrierefreie Praxis vorstellen zu können.
Arbeit, die sich lohnt
Alles in allem hat das Treffen uns noch einmal mehr gezeigt: Mit der Barrierefreiheit ist es wie mit der Kunst, von der Karl Valentin uns sagte, dass sie viel Arbeit macht. Sehr viel Arbeit. Arbeit, die sich aber lohnt. Denn nur so können Menschen mit Beeinträchtigungen ein selbstbestimmtes Leben führen.
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