Wenn Ärzte ihren Patienten Arzneimittel verordnen, dann müssen sie sich auf die Ergebnisse der vorliegenden Studien verlassen. In solchen Studien wird ein neuer Wirkstoff an zwei Gruppen getestet. Die eine Gruppe erhält tatsächlich den Wirkstoff, die andere ein Placebo, ein Medikament, das genau so aussieht wie das wirklich wirksame Medikament, drin sind aber nur Milchzucker und Farbstoffe und ähnliche unwirksame Substanzen. Sodann werden die Wirkungen und Nebenwirkungen in beiden Gruppen verglichen: War die Wirksamkeit in der Medikamentengruppe deutlich besser – bei vertrebaren Nebenwirkungen – , dann wird das Medikament zugelassen und der Arzt kann es ohne Sorgen seinen Patienten verordnen.
Leider hat die ganze Sache einen Haken: Bei vielen Medikamenten wird die Forschung von der Industrie bezahlt. Und zwar von den Firmen, die das Arzneimittel herstellen. Und wenn die von der Firma in Auftrag gegebene Studie nicht so ganz in ihr Konzept passt, dann hat sie das Recht, diese Studie unter den Tisch fallen zu lassen.
“Warum haben wir nicht alle Beweise zu Tamiflu?”
Aktuell steht das Medikament Tamiflu® (Wirkstoff: Oseltamivir) in der Kritik. Die Herausgeberin der angesehenen medizinischen Zeitschrift “British Medical Journal” fragte am 8. Dezember: “Warum haben wir nicht alle Beweise zu Oseltamivir?”. Autoren der Zeitschrift hatten vergeblich versucht, die kompletten Originaldaten der Studien zu Tamiflu® beim Hersteller zu erlangen. Sie kommen zu dem Schluss, dass Tamiflu® möglicherweise in Frage kommt, um Symptome der Grippe zu lindern. Der Mangel an Daten habe allerdings bisherige Aussagen, dass Tamiflu Komplikationen der Grippe verhindern könne, unterminiert. Unabhängige Studien seien dringend erforderlich.
Milliarden Steuergelder verschwendet?
Nun, man muss sich das vorstellen: Weltweit sind Milliarden Euros für die Einlagerung von Tamiflu® ausgegeben worden, weil Regierungen ihre Bürger vor Influenza schützen wollten. Und jetzt stellt sich heraus, dass alle Untersuchungen zur Wirksamkeit ausschließlich von der Herstellerfirma stammen und die Daten dieser Untersuchung nur unvollständig veröffentlicht wurden. Möglicherweise sind somit Milliarden von Steuergeldern international völlig sinnlos ausgegeben und dem Gesundheitssystem entzogen worden. Was hätte man damit alles anfangen könnne, um Menschen zu heilen oder vor Krankheit zu schützen, mit medizinischen Maßnahmen, die bewiesen wirksam sind aber aus Geldmangel nicht eingesetzt werden können.
Online-Petition
Die Online-Petition an den Deutschen Bundestag hat folgenden Wortlaut:
“Text der Petition
Der Deutsche Bundestag möge beschließen: Pharmaunternehmen und Forschungsinstitute werden gesetzlich verpflichtet, alle Studien über Medikamente zu veröffentlichen, auch und insbesondere dann, wenn diese die Wirkungslosigkeit oder negative Wirkungen eines Medikaments belegen.
Begründung
Wie das am 24.11.2009 durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
bekannt gewordene Beispiel Reboxetin zeigt, kann das Verschweigen von Studiendaten dazu führen, daß Patienten ein Medikament bekommen, für das es keinen Nutzenbeleg gibt, das aber einen Schaden verursachen kann. Ärzte und Patienten müssen sich aber vollständig informieren können, um eine möglichst passende und nebenwirkungsarme Therapie gegen eine Erkrankung zu finden.
Der Forderung steht auch nicht die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre entgegen, weil diese Freiheit nur bestehen kann, wenn unangenehme Fakten eben nicht unterdrückt werden.”
Wenn Sie diese Petition unterstüzten möchten, müssen Sie sich hier auf den Seiten des Deutschen Bundestages einmal registrieren. Ich glaube, dass ist die Mühe wert. (Die Frist endet am 15.1.2010.)
Über Reoxetin habe ich übrigens hier schon einmal berichtet.
Quellen
Arzneitelegramm: Zweifel an den Daten zu Oseltamivir
Petition: Arzneimittelwesen – Veröffentlichung aller Studien über Medikamente vom 25.11.2009
British Medical Journal: Why don’t we have all the evidence on oseltamivir?