Ich wollte nicht, das meine Familie und meine Freunde hier auf dem Blog von der neuesten Wendung meines Lebens überrascht werden und ich wollte mir selbst genügend Zeit geben um mich mit der neuen Situation anzufreunden, was mir zugegeben, doch sehr schnell gelungen ist. Darum vergebt mir, wenn ich zum ersten Mal hier nicht ganz ehrlich war, auch wenn ich nicht gelogen, sondern nur etwas zurückgehalten habe. Nun müsst ihr euch also mit dem nicht mehr ganz so brandaktuellen Rückblick auf meine erste Woche im neuen Jahr begnügen, aber ich hoffe ihr verfolgt sie dennoch mit Interesse!
01.01.2010
Am Abend nach Silvester trifft es mich wie ein Schlag… nachdem ich nun schon wieder 2 Tage versucht habe mich zum Lernen aufzuraffen und die Motivation einfach nicht finden konnte, sitze ich am Abend halb verzweifelt an Meikes Tisch und starre meine Bücher an. Plötzlich wird mir klar, dass nun Schluss ist. Schluss mit Zwängen, Entbehrungen, Druck und ständigen Stimmungstiefs. Ich will einfach nicht mehr. Und nicht, weil es mir nur gerade zu anstrengend ist, nicht weil ich Angst vor der nächsten Klausur habe oder davor es nicht zu schaffen… ich will das einfach nicht mehr. Und ich höre auf. Einfach so.
Eine Stunde später kommt Meike von der Arbeit nach Hause und ich empfange sie ganz schlicht mit den Worten, die tief aus meinem Inneren kommen und sich noch nie vorher so wahr und endgültig angefühlt haben: Ich beende mein Studium!
Den Blick von ihr werde ich wohl nie vergessen, denn wenn ich eine Stunde vorher in den Spiegel geschaut hätte, hätte meiner wohl nicht weniger erstaunt ausgesehen. Manchmal trifft man in einer einzigen Minute Entscheidungen, von denen man einfach weiß, sie sind richtig und unumstößlich und werden dein Leben ändern und trotzdem erschrecken sie einen selbst genauso wie jeden Anderen dem man sie beichtet. Nach diesem ausgesprochenem Geständnis fange ich an wie ein Wasserfall zu heulen und die Tränen wollen gar nicht mehr aufhören… gerade wenn es ein wenig abebbt, geht es von vorne los, aber es befreit mich und ich glaube, es ist die pure Erleichterung in die ich mich da auflöse. Meike ist wie mein Fels in der Brandung und könnte keine besseren Worte für mich finden. Sie bestätigt mich ohne mich zu beeinflussen, sie urteilt ohne mich zu verurteilen und sie bestärkt mich, wo ich Rückhalt brauche. Danke dafür!!
Letztendlich, nachdem wir alle Für und Widers durchgesprochen, abgewägt, von der einen auf die andere Seite gewälzt und alle Eventualitäten in Betracht gezogen haben, steht für mich fest, das war mein letzter Tag als Studentin. Mir ist einfach klar geworden, dass ich mit diesem Studium meine Grenzen austesten wollte. Ich wollte Wissen anhäufen. Lernen. Begreifen. Aber nie wirklich Ärztin werden oder das Studium beenden. Nichts davon hat einen besonderen Wert für mich und noch weniger einen Sinn. Ich hätte mich nach und nach bestimmt damit angefreundet, war sogar schon auf dem Weg dahin, aber als ich für mich begriffen habe, dass ich es tatsächlich schaffen konnte, ist sämtlicher Wille es auch zu schaffen unter der ganzen Entbehrung und dem Verzicht der damit verbunden gewesen wäre zusammengebrochen. Wenn ich mir mein letztes Jahr im Rückblick anschaue, kann ich mich nur an sehr wenige Momente erinnern, die mich wirklich glücklich gemacht haben und nicht einer davon hatte mit dem Studium zu tun. Stattdessen habe ich eine Flut von Erinnerungen von Druck, Enttäuschung und Versagensängsten. Wenn ich mir so noch ein weiteres Jahr und wahrscheinlich noch viele weitere vorgestelle, dann weiß ich welche Entscheidung die Richtige ist! Ich brauche einfach wieder ein Leben und nicht nur einen Alltag. Ich bin jeden Morgen aufgestanden mit dem Gedanken, den Tag einfach nur irgendwie zu überstehen. Was ist das für ein Leben? Ein vollkommen inakzeptables!
02.01.2010
Ich fahre früher als geplant nach Frankfurt zurück. Ich glaube hauptsächlich um mich zu sortieren, um das zu sortieren was da gerade mit mir passiert. Meine Eltern sind die ersten nach Janine und Meike die von meinem Entschluss erfahren und ich habe das Gefühl, das es sie weder entäuscht, noch besonders überrascht sind. Sie haben selbst oft genug mitbekommen wie unzufrieden ich die meiste Zeit des letzten Jahres war und ihr Wunsch war immer nur, das ich glücklich mit dem bin, was ich tue und einfach meinen Weg gehe. Nun, den gehe ich gerade. Ich weiß noch nicht wohin er führt, aber das Internet setzt mir da schon genug Flausen in den Kopf, welche Abzweigungen ich nehmen könnte…
04.01.2010
Die Umsetzung meiner Entscheidung wird mir nicht gerade einfach gemacht. Mein Chef in der Klinik hat noch Urlaub und so muss ich noch eine Woche warten, bis ich eine Richtung gewiesen bekomme, wie es beruflich nun für mich weitergehen könnte. Ich kann mir gut vorstellen wieder als Vollzeitstelle auf meiner Station zu arbeiten. Ich habe meinen Beruf immer geliebt, ihn zeitweise sehr vermisst und nie das Studium als Ausweg aus meiner beruflichen Schiene angesehen.
Statt des Gesprächs mit ihm führe ich eines mit einer guten Freundin. Nach und nach weihe ich in diesen Tagen meine Lieben in den Umschwung meines Lebens ein und auch wenn manche anfangs traurig für mich sind, merken sie bald wie gut es mir damit geht und kommen so schnell hinter die Vorteile die das nun deutlich größere Freizeit-Pensum bringen wird
Das Bafoeg-Amt bringt die größte Überraschung des Tages: Nachdem ich einige Zeit im Internet recherchiert habe und dort die teils abstrusesten Informationen gefunden habe, wollte ich mich lieber auf die geschulten Aussagen meines Sachbearbeiters verlassen. Schon Sonntag Abend habe ich mir eine grobe Aufstellung meines enstandenen Darlehens erstellt und bin dabei fast vom Stuhl gefallen. Mir war gar nicht bewusst, wie schnell sich solch ein Vermögen anhäufen kann und wieder bin ich heilfroh, den Ausstieg doch „so früh“ gefunden zu haben. Mir tun die Ärzte nun noch mehr leid, die nach einer scheinbar endlosen Studienzeit auch nochmal mit einer solch endlos scheinenden Durststrecke leben müssen um ihr Bafoeg-Darlehen abzuzahlen. Ich gerate zum Glück im Studentenwerk an eine nette und geduldige Sachbearbeiterin, die mich darüber aufklärt, dass ich erst 4 1/2 Jahre nach Ende meines fiktiven Studienendes beginnen müsste mein Darlehen zurückzuzahlen. Und das dann auch nur in kleinen monatlichen Raten. Nach der Überaschung darüber denke ich als erstes, dass es mich nun nicht wundert, dass so viele junge Menschen schon früh Schuldenberge anhäufen. Sie bekommen Rückzahlungen einfach so lange aufgeschoben, bis sie Zeit genug hatten, noch mehr Schulden zu machen. Korriegiert mich wenn ich mich irre…
Nun, ich habe auf jeden Fall nicht vor noch 9 Jahre zu warten, sondern werde einen Antrag stellen um das Darlehen frühzeitig und auf einmal zurückzuzahlen. Die Sachbearbeiterin wies mich aber auch daruf hin, dass ich frühestens in 3-4 Monaten diesen Antrag stellen könnte, vorher seien die ganzen Unterlagen noch gar nicht bearbeitet. Das klingt dann doch schon wieder eher nach der deutschen Bürokratie
Um mich von all den Behördengängen zu erholen (viele habe ich der Spannung des Artikels zuliebe gekürzt) bin ich dann schnurstracks in die Stadt und in meine Beruhigungsquelle Hugendubel. Ich brauche schließlich Nachschub für die viele freie Zeit die nun auf mich zu kommt…
05.01.2010
Immer mehr verschwindet das Studium aus meinem Leben. Die Exmatrikulationsanträge habe ich gestern vor dem Buchclub-Treffen noch eingeworfen, wenn auch mit einem dicken Kloß im Hals. Die Bücherregale wurden geleert, aussortiert, entsorgt und an Kommilitonen verteilt. Ein wenig sieht es nun aus, als wäre nie etwas gewesen. Traurig macht mich das alles, es fühlt sich viel zu sehr an wie eine Trennung, fast denke ich, ich hab ein bisschen Liebeskummer. Auch wenn man manchmal eine Trennung beschließt und sich zu 100% sicher ist, dass es die richtige Entscheidung für einen selbst ist, darf man trotzdem traurig darüber sein. Das sage ich mir nun in jedem kloßigen Moment, wenn ich Bücher in Kisten verstaue, oder sämtliche studentische Termine in meinem Kalender lösche, indem ich zwar ein wenig Herzschmerz spüre, aber doch kein Stück Bedauern oder Reue über meinen Entschluss. Und das ist doch das beste Zeichen.
Vor Kurzem habe ich mich mit jemandem darüber ausgetauscht, wie man klare Schnitte macht. Ich weiß es nicht, ich weiß nur ich bin ein Mensch der klaren Schnitte. Ganz oder gar nicht. Und vielleicht hilft es mir, dass ich diese Entscheidung ohne Einfluss getroffen habe, ganz für mich, alleine und ohne den Zu- oder Widerspruch von lieben Freunden die zwar nur mein bestes Wollen, aber doch eben ihre eigene Ansicht über „meines Besten“ haben. Vielleicht war auch einfach nur der richtige Moment gekommen. Tatsache bleibt aber, ich habe mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Und egal wieviel Herzschmerz sie mir jetzt hin und wieder bereitet, es bleibt dennoch die Richtige!
07.01.2010
Je größer der Abstand wird, selbst wenn es nur wenige Tage sind die mir viel länger vorkommen, desto ruhiger werde ich. Ausgeglichener, selbstsicherer. Die Momente des Zweifels die zuvor nur ganz selten mal an der Oberfläche erschienen sind, verschwinden nun vollständig und auch jetzt verspüre ich keinen Hauch von Reue. Nur Zufriedenheit mit mir selbst und meiner Entscheidung. Gut gemacht! Auch wenn Eigenlob stinkt, aber ich bin stolz auf mich. Stolzer als ich je nach einer bestanden Prüfung war. Denn die größte Prüfung des Lebens ist doch, sich selbst treu zu bleiben, oder nicht?
Mit jedem Menschen dem ich meinen Lebenswandel erkläre und den ich darüber informiere, nehme ich mein neues Leben mehr an. Und doch habe ich noch das Gefühl etwas in der Schwebe zu hängen. Das Alte ist restlos abgeschlossen, liegt fein säuberlich in einer Erinnerungskiste verpackt und ist völlig abgenabelt. Aber was ist mit dem Neuen? Wann geht es los, das neue alte Leben und vor allem, in welche Richtung? Ich bin froh, dass ich von all meinen Freunden nur positives Feedback bekomme, sonst würde ich vielleicht jetzt ein bisschen den Halt verlieren. So aber genieße ich jeden Tag, jede Stunde freie Zeit, mit der ich nun alles tun kann was ich will und das erste Mal seit Monaten ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. „Ich müsste doch… ich sollte eigentlich…“ sind völlig aus meinem Leben verschwunden. Und das tut soo gut!!!
08.01.2010
Alle Menschen, bei denen es mir wichtig war dass sie die Neuigkeit von mir persönlich erfahren, wissen nun Bescheid. Ich wollte nicht das Steffi erst in diesem Blog lesen muss, dass sie nun einen Lernpartner weniger hat. Oder das Franzi meinen Sinneswandel von unserer Vorgesetzten statt von mir erfährt. Somit bleiben nun noch zwei große Offenbarungen: auf dem Blog bei euch und auf Station bei meinen Kollegen. Da ich erst Dienstag den Gesprächstermin bei meinem Chef habe, fange ich nun also hier an… Da ich zunächst angezweifelt habe, ob der Blog nun damit seine Berechtigung verliert, als frischgebackene nicht-mehr-Studentin (heute kam auch das Bestätigungsschreiben meiner Exmatrikulation), habe ich nun festgestellt, dass ich ohne ihn gar nicht mehr im Internet leben will Ich hoffe also ihr verzeiht mir meine Verschwiegenheit und werdet mich auf der Suche nach meinem neuen Weg und auch ohne Studentenausweis weiterhin begleiten!
Liebe Grüße, emergencygirl