Unterschiedliche Auffassungen zur Zukunft des Telematikprojekts bei der Politik und der Selbstverwaltung erschweren einen zügigen Neustart, so berichtet das Ärzteblatt in der neuesten Ausgabe. (Online: Artikel)
Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler hatte angekündigt, die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) in der Region Nordrhein fortzuführen. Was das für die bundesweite Einführung bedeutet, ist letztlich offen. Er habe den Plan, mit der Karte auch Rezepte elektronisch abzuwickeln, vorerst gestoppt, sagte Minister Rösler der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. (Quelle) Auch die elektronische Patientenakte wird nach seinen Worten vorerst nicht aufgenommen. „Ich möchte, dass die Industrie erst einmal nachweist, dass die gespeicherten Daten technisch sicher sind“, sagte Rösler der Zeitung.
Gesellschafter wollen mehr Einfluß
Die Notwendigkeit einer sicheren Telematikinfrastruktur wird von allen Akteuren der Selbstverwaltung betont. Dabei positionieren sich die einzelnen Gruppen jedoch unterschiedlich. So enthält das Ende November 2009 beschlossene Positionspapier des GKV-Spitzenverbandes (Details zur Telematik ab S. 13) einige Vorschläge für einen Neustart der eGK und zur künftigen Rolle der gematik.
Wörtlich heißt es:
Darüber hinaus sind die Möglichkeiten der Kostenträger, den Gestaltungsprozess bei der Einführung aktiv zu begleiten, zu verbessern. Eine Änderung der Mehrheitserfordernisse ist deshalb angezeigt, um die erfolgreiche Realisierung des Gesamtprojektes zu beschleunigen. Nur so ist es möglich, die gegenwärtig noch vorherrschende Komplexität des Systems zeitnah zu reduzieren und die praktische Anwendung der eGK für alle Beteiligten, insbesondere den Versicherten, zu vereinfachen.
Das Konzept für eine Neuausrichtung des Telematik-Projektes hat sich deshalb konkret an den folgenden Eckpunkten zu orientieren:
- Bekräftigung eines bundeseinheitlichen Technologiekonzeptes
- Konzeption, Entwicklung und Einführung von Fachanwendungen unter besonderer Berücksichtigung und Darstellung der Kosten-, Nutzen und Akzeptanzeffekte
- Überarbeitung des technologischen Konzepts der Telematikinfrastruktur, insbesondere zur Erreichung und Sicherung der Online-Anbindung
- Festlegung der Verantwortlichkeiten und Aufgabenverteilung zwischen gematik, Gesellschaftern, Industrie und Politik
- Tragfähige Einbindung von Lösungsanbietern bei Entwicklung und Einführung von Fachanwendungen und Telematikinfrastruktur-Komponenten
- Definition abschließend verbindlicher, realistischer Meilensteine mit Zeitschiene
Wenig überraschend wird also auf eine rasche obligatorische Online-Anbindung der Leistungserbringer gedrängt sowie auf mehr Einfluß der GKV in der gematik. „Eine Änderung der Mehrheitserfordernisse ist deshalb angezeigt, um die erfolgreiche Realisierung des Gesamtprojekts zu beschleunigen“, heißt es.
Auf der anderen Seite hat die Bundesärztekammer (BÄK) sich nach dem Regierungswechsel erneut positioniert. Sie will sich an der Bestandsaufnahme der eGK aktiv beteiligen und ihre Expertise in den weiteren Aufbau einer Telematikinfrastruktur einbringen. Das erklärte Dr. med. Franz-Joseph Bartmann, Vorsitzender des Ausschusses Telematik der BÄK, im Informationsdienst „IT Kompakt“. (Quelle).
Auch die Bundesärztekammer hat ein Positionspapier veröffentlicht.
Darin sollte aus Sicht der BÄK bei der Neuausrichtung die medizinischen Anwendungen im Zentrum stehen. Neu ist die Forderung, dass die Gesamtarchitektur der Telematikinfrastruktur insbesondere auch für telemedizinische Anwendungen wie Telemonitoring und Telekonsultation erweiterbar sein sollte. Jede neue Anwendung sollte außerdem ausreichend getestet werden. Die Neuausrichtung muss laut Bartmann darauf abzielen, die behandlungsrelevanten Daten eines Patienten „auf hochsicheren Wegen immer an dem Ort verfügbar zu haben, an dem der Patient das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen muss“. Dies würde auch für mehr Akzeptanz bei den Ärzten sorgen und der Qualität der Patientenversorgung zugute kommen. Des weiteren wird die bisherige Einflußnahme des Bundesgesundheitsministerium kritisiert.
Wörtlich heisst es in dem zitierten Positionspapier:
Die Probleme sind gleichermaßen in der projektbestimmenden Einflussnahme des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) begründet. Der politisch motivierte Zeitdruck führte unter anderem dazu, dass Konzeption, technische Entwicklung und Testmaßnahmen ungeordnet und zum Teil parallel abliefen. Positionen der Gesellschafter zu inhaltlichen Fragen oder zu Aspekten der Projektdurchführung wurden nicht ausreichend berücksichtigt.(….) Die derzeit durch Rechtsverordnung vorgegebenen Testmaßnahmen müssen hinsichtlich ihrer Struktur neu konzipiert und in dieses Grundlagenkonzept eingebettet werden. Grundsätzlich passt das starre Instrumentarium einer Rechtsverordnung nicht zu einem von ständigem Technik- und Wissensfortschritt geprägten Projekt. Die bisher getesteten Anwendungen müssen inhaltlich überarbeitet werden.
Im weiteren wird gefordert, dass die online Anbindung freiwillig sein müsse und ein Bekenntnis zur gematik abgegeben:
Die Entscheidungskompetenz der Gremien der gematik und die Einflussmöglichkeiten der übrigen Gesellschafter werden durch das Modell nicht eingeschränkt.
Die Spitzenorganisationen der Leistungserbringer bekräftigen ihren Willen, die beschlossenen Maßnahmen zum Basis-Rollout fortzuführen. Darüber hinaus muss eine von allen Beteiligten akzeptierte Lösung für die freiwillige Online-Anbindung der Leistungserbringer geschaffen werden. Die Spitzenorganisationen der Leistungserbringer werden mit der gematik die anstehenden Aufgaben zielgerichtet und konstruktiv vorantreiben.
In dem Artikel des Ärztblattes wird eine weitere Überlegung der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in die Diskussion eingebracht: Die Online-Anbindung der Praxen zum Abgleich der Versichertenstammdaten könnte nur über die Kartenlesegeräte erfolgen, ähnlich wie bei EC-Terminals. „Dann wären die gesamten, auf dem PC einer Praxis gespeicherten sensiblen Patientendaten vollständig davon abgekoppelt“, erläuterte KBV-Vorstand Dr. med. Carl-Heinz Müller.