Hatte ich schon mal erwähnt, dass ich ungehemmt für das englische Supermodel Kate Moss schwärme?
Vermutlich nicht. Ist ja auch höchst politisch unkorrekt – eine Frau, die “Kokain, Wodka, Ecstasy und Dreier” zu ihren Vorlieben zählt, wie ihr Biograph ausplaudert. Nichtsdestotrotz: Wenn sie nicht gerade dummes Zeug über Ernährung oder Buddhismus plappert oder mit Drogen experimentiert, kann die Frau in all ihren schillernden Widersprüchen durchaus faszinierend sein.
Das weiß anscheinend auch der Arzt und Skeptiker-Autor Ben Goldacre, dessen Buch “Die Wissenschaftslüge – Wie uns Pseudo-Wissenschaftler das Leben schwer machen” dieser Tage in Deutschland erscheint.
Eine der zahllosen amüsanten “Blödelstorys“, wie Goldacre selbst seine kantisch sezierenden Blicke auf den ganz normalen Wahnsinn des grassierenden Irrationalismus nennt, dreht sich nämlich um Mager-Kate. Jedenfalls am Rande.
Es begab sich nämlich, dass die bekannte PR-Agentur Clarion für einen ihrer Kunden eine Untersuchung durchführte, in der “die zehn aufreizendsten prominenten Hüftschwünge” ermittelt werden sollten. Und zwar mittels einer mathematischen Gleichung, welche “das Verhältnis von Ober- und Unterschenkeln, die Form der Beine, das Hautbild und den Schwung der Hüften” beinhaltet.
Ah ja. Nun kenne ich zwar eine alte Mad-Parodie, in der Mathematik-Professoren unbedarfte Studienanfänger mit erotisch angehauchtem Gemunkel über skandalumwitterte “Dreiecks-Verhältnisse” und “Potenzen” in ihre Vorlesungen locken – aber die Heiße-Hüften-Formel sagt mir leider nichts.
Kann sie auch nicht – denn so etwas gibt es gar nicht.
Das wissen natürlich auch die Marketing-Strategen von Clarion. Also musste fix ein anerkannter Wissenschaftler her, der mit seiner geballten fachlichen Autorität den geplanten PR-Coup beglaubigt. Eine entsprechende Anfrage erging auch an Goldacre. Versprochen wurde ein Sold von 500 britischen Pfund. Und dass aussagekräftige “Umfragedaten vorhanden” seien.
Wie sich herausstellte, bestand die “Umfrage” aus einer internen Rundmail an 800 männliche Mitarbeiter. Und noch etwas erfuhr der bekannte Mediziner und Publizist Goldacre auf Nachfrage: “Wir wollen, dass Beyoncé die Nummer eins wird, gefolgt von anderen Promis mit kurvenreichen Beinen wie J-Lo und Kylie. Frauen wie Kate Moss und Amy Winehouse dagegen sollen ganz nach unten. Dürre, blasse, unförmige Beine sind nicht so sexy.”
Nichts gegen Beyoncé. Aber hier versagen mir schlicht die Worte, um meiner Empörung angemessen Ausdruck zu verleihen.
Ben Goldacre dachte genauso. Na ja, zugegebenermaßen nicht in erster Linie wegen Kate, sondern aufgrund ganz anderer Erwägungen eher grundsätzlicher Natur.
Weniger skrupulös deuchte einem renommierten Mathematiker die ganze Sache. “Er bereute es bitter”, schreibt Goldacre.
Zwar schaffte es die Clarion-Pressemitteilung tatsächlich auf die Titelseite des Daily Telegraph – aus den paar freundlichen Worten des Zahlengelehrten indes hatten die Kreativen unbekümmert ein nicht existierendes “Mathematikerteam aus Cambridge” gezaubert. Und dazu die knackige (nach den zitierten Vorüberlegungen der Agentur indes rätselhafte) Schlagzeile kreiert: “Jessica Alba hat den perfekten Hüftschwung, sagt Studie.”
Sind diese Geschichten wirklich so schlimm?”, fragt Ben Goldacre in “Die Wissenschaftslüge”. Und gibt darauf selbst diese Antwort:
“Sie sind zweifellos sinnlos und lassen eine Art Verachtung für die Wissenschaft erkennen. Außerdem sind sie nichts als werbewirksame PR für die Unternehmen, die sie in Umlauf bringen – aber es spricht doch Bände, dass sie genau wissen, wo die Schwächen der Zeitungen liegen. Wie wir sehen werden, sind falsche Umfragedaten ein Renner in den Medien.”
Falsche Umfragedaten? In den Medien?
Dann stimmt es womöglich gar nicht, dass Kate Moss zur unangefochtenen Dessous-Queen der Firma Agent Provocateur gewählt worden ist?
Nicht auszudenken.
Zum Weiterlesen:
- Ben Goldacre (2010): Die Wissenschaftslüge. Wie uns Pseudowissenschaftler das Leben schwer machen. Fischer Verlag, Frankfurt/Main.