Als ich wieder wach werde, liege ich auf dem Boden neben der Kloschüssel. Mein Schädel dröhnt. Er hat wohl nähere Bekanntschaft mit einem sanitären Keramikgegenstand gemacht. Und noch etwas dröht, dieses Etwas donnert gegen die Tür und hat die Stimme von Schwester Anna.
„Alles in Ordnung da drinnen?“
„Ja, passt schon!“
Es riecht unangenehm säuerlich. Anscheind hat’s vorhin mit dem Zielen wohl nicht so richtig geklappt, denn neben mir auf dem Boden liegt ein Teil meines Mageninhalts.
„Ich dachte nur, weil es vorhin so komisch gerummst hat…“
„Danke! Nix passiert!“
„Da sind zwei Herren von der Polizei, die wollen Dich sprechen.“
Was ist los?
Ich zucke zusammen.
„Ich komm schon!“
Langsam rappel ich mich auf. Mit Unmengen von Klopapier und Papiertaschentüchern wische ich die Sauerei auf dem Boden notdürftig weg und reinige mich dann so gut es geht mit Flüssigseife und Sterilium.
Die Bullen warten gleich draußen vor der Toilettentür.
„Sie sind der Diensthabende Arzt?“
Was soll ich jetzt sagen? Wo ist Sarah?
„Ähem…. So ungefähr.“
„Können Sie uns schon etwas sagen….?“
Etwas sagen? Wozu? Ach ja, da war was… Blaulicht, Rote Jacken und vor allem dieser unnachahmliche Geruch!
„Tut mit leid, der Patient ist momentan noch nicht vernehmungsfähig!“
Der Polizist nickt. Er hat offenbar keine andere Antwort erwartet.
„…und dann hätten wir noch eine Blutentnahme!“
„Aha?“
„Alkohol am Steuer… Sie wissen schon!“
Das muss jetzt warten! Ich gebe den beiden Gesetzeshütern eine höflich-Nichtssagende Antwort und eile dann wieder in den Schockraum.
Der Geruch ist immer noch da – aber die Quelle ist verschwunden.
Man kann gegen Fusel-Franze sagen, was man will, aber er ist unser treuester Kunde, unser Maskottchen, er gehört zu uns, wie der Geruch ungeleerter Bettpfannen. Fusel-Franze darf nicht sterben!
„Wo ist er?“ frage ich.
„Auf dem Weg zum OP. Der Oberarzt war vorhin da.“
„Und Sarah?“
„Sie soll assistieren. Kannst Du so lange die Ambulanz machen?“
Wird mir ja wohl nichts Anderes übrig bleiben.
Schwester Anna schaut mich an und scheint allmählich meinen Zustand zu erkennen.
„Ich meine natürlich nur, wenn Du Dich fit genug fühlst…“
Schwester Gaby stemmt die Hände in die Seiten und schüttelt den Kopf.
„Nix da! Du gehst jetzt nach Hause und legst Dich ins Bett!“
Ich versuche, zu lächeln.
„Es geht schon wieder!“
Also zurück zu den beiden Herren in Grün.
„Also, was ist mit dieser Blutentnahme?“
„Der Autofahrer, welcher den Notruf abgesetzt hat, hat getrunken!“
Der Polizist deutet auf ein Häufchen Elend, welches auf einem der Wartestühle hockt.
„Nein!“
Ich muss mich festhalten. Fast wäre ich zum zweiten Mal in Ohnmacht gefallen.
„Was ist denn genau passiert?“
Der eine Polizist erklärt mir mit gedämpfter Stimme den Tathergang:
„Dieser… ähem… dieser Penner hat ohne nach rechts oder links zu schauen die Hauptstraße überquert. Dabei wurde er von einem Räumfahrzeug erfasst. Irgendsoein Sonntagsfahrer hat dann mitten auf der Straße angehalten und den Fahrer des Räumfahrzeugs aufs Heftigste beschimpft. Er hat den Verletzten ins eigene Auto gezerrt und angefangen, angeblich um Erste Hilfe zu leisten. Was auch immer er da für Spielchen gemacht hat, immerhin hat er auch den Rettungsdienst alarmiert, aber dann ist er trotzdem losgebrettert, und zwar in Schlangenlinien…“
„Bei zwanzig Zentimeter Neuschnee auf einer ungeräumten Straße kann jeder ins Schleudern geraten, da haben Schlangenlinien gar nichts zu sagen!“
„…haben sie sehr wohl, wenn der Fahrer deutlich nach Bier und Schnaps riecht und uns Polizeibeamte mit lallender Stimme grob beleidigt. Jedenfalls ist er nicht weit gekommen, weil der Rettungswagen sofort da war.“
„Dieser Mann hat vielleicht ein Leben gerettet. Selbst wenn er mit Alkohol am Steuer saß – das war ein Notfall!“
„Das war kein Notfall, sondern Fahrerflucht. Und Sie sollen jetzt nicht diskutieren, sondern bitte zügig die Blutprobe abnehmen!“
Als ich den Augen des Verdächtigen begegne fühle ich mich wie ein Verräter. Ein Judas von der Schlimmsten Sorte.
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