Silvesternachtsoap (Teil 8)

Der ältere von den beiden Polizisten drückt mir einen Plastikbeutel in die Hand. Darin befinden sich zwei Blutröhrchen samt Nadel und nichtalkoholischem Desinfektionstupfer und zugehörigen Formularen.
Ich wünsche, es gäbe einen Zauberspruch um das Ding wie eine Feuerwerksrakete mit großem Knall explodieren zu lassen. Oder es still und heimlich in den nächsten Papierkorb gleiten zu lassen… aber die beiden Ordnungshüter beobachten mich mit Argusaugen.
„Ist schon Okay,“ sage ich und bewege mich mit gesenktem Blick auf den Deliquenten zu.
Eine Sekunde kommt mir – einer himmlischen Eingebung gleich – die rettende Idee.
Nein, ich werde Marvin nicht ans Messer liefern!
Betont ruppig gehe ich einen Schritt auf ihn zu.
„Wollen wir doch mal sehen, ob der da noch verkehrstüchtig ist!“ sage ich absichtlich eine Spur zu laut.
Marvin starrt mich mit großen Augen an.
„So, dann kommense mal mit!“ sage ich und packe ihn unsanft an der Schulter.
Bevor er etwas erwiedern kann lege ich schnell einen Zeigefinger auf den Mund und zwinkere ihm zu. Die Bullen bemerken es nicht.
„Also, Sie sind mit der Blutentnahme einverstanden? Und ich rate Ihnen dringend, diese Frage mit ‘ja’ zu beantworten, denn ein ‘nein’ würde Ihnen auch nichts nutzen und Herren von der Polizei würden das gar nicht gerne sehen!“
Die beiden Bullen grinsen. Wunderbar, so ist’s richtig!
„Da geht’s lang!“ sage ich und schiebe Marvin durch die Tür in den Schockraum.
Die beiden Polizisten wollen mir folgen.
Ich hebe die Hand.
„Entschuldigung, tut mir leid, Sie müssen leider einen Moment draußen warten!“
„Aber…“
„Wir haben da drinnen einen Schwerverletzen, Sie verstehen?“
„Können Sie das Blut nicht hier im Wartezimmer abnehmen?“
„Im Wartezimmer? Das geht aus versicherungstechnischen Gründen nicht. Wissen Sie, wenn der mir noch kollabiert…“
„Aber Ihre Kollegen haben auch immer….“
„In fünf Minuten haben Sie ihn wieder!“
Die Tür fällt hinter uns ins Schloß.
Ich drücke Marvin auf einen Stuhl und klopfe ihm auf die Schulter.
„Keine Angst, Du wirst Deinen Lappen behalten, das verspreche ich Dir!“
„Was kannst Du daran schon ändern!“
Aus Kabine drei ruft es schon wieder nach der Schwester.
„Wart’s ab! Und jetzt gib mir mal Deine Flosse!“
Widerwillig streckt Marvin seinen Arm aus. Ich nehme die Staubinde, und dann geht alles ganz schnell: Pieks, Röhrchen voll, Pflaster drauf.
„Hat’s weh getan?“ Marvin schüttelt traurig den Kopf.
„So. Und jetzt schau mal zu!“
Behutsam lasse ich die gefüllten Blutröhrchen in den nächsten Mülleimer gleiten.
„Okay?“
Marvin schüttelt den Kopf.
Die Rufe aus Kabine drei werden immer lauter.
Schwester Gaby kommt um die Ecke.
„Ich komm ja schon, Frau Wafenschmidt!
Ihr Ton ist mehr als nur leicht genervt.
„…als ob wir sonst nichts zu tun hätten…“ zischt sie mir leise zu.
Ich halte sie zurück.
„Lass mal, ich gehe schon!“
Und dann betrete ich selbstbewußt die Untersuchungskabine.
„Frau Waffenschmidt, ich nehme Ihnen noch einmal Blut ab! Nur noch einmal zur Kontrolle!“
Zwei Minuten später habe ich eine Körperverletzung begangen, die mich Kopf und Kragen kosten könnte, wenn Frau Waffenschmidt nicht völlig dement wäre und nichts mitgekriegt hätte. Und dann schiebe ich den Armen Sünder Marvin, der jetzt völlig verdutzt dreinschaut wieder ins Wartezimmer zurück, in einer Hand zwei gefüllte Blutröhrchen und in der anderen Hand das Formular.
„Sie müssen noch unterschreiben. Und Ihre Kontonummer angeben!“ sagt der Polizist.
Richtig.
Für jede polizeiliche Blutentnahme kassiert das Krankenhaus eine Menge Geld. Die Krankenhauskontonummer kenne ich nicht. Aber meine eigene schon. Und abgesehen davon steht das Geld ja eigentlich eh mir zu. Zumindest moralisch gesehen, aber Moral ist heute hier an diesem Ort eher zweitrangig.
„Auf Wiedersehen,“ sagt der Polizist, „und noch ein Frohes Neues Jahr übrigens!“
„Danke gleichfalls! Gerne geschehen. Kommen Sie ruhig bald wieder!“
Die beiden Polizisten grinsen. Und ich verziehe mich in den Aufenthaltsraum, wo Schwester Gaby erschöpft vor einer Tasse Kaffee sitzt. Ich nehme mir auch einen Kaffee
„Wissen wir schon etwas von Fusel Franze?“
Schwester Gaby schüttelt den Kopf und steckt sich eine Zigarette an.

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