Skeptisches Entschlacken

Ich müsse dringend mal wieder “entgiften”, rät mir die Funk Uhr. Denn “Entgiften … schützt die Gesundheit, verleiht uns neue Energie – und lässt nebenbei die Pfunde purzeln.”

Iss ja doll!

Fehlen nur noch die “Schlacken”. Oder habe ich was überlesen?

Natürlich nicht. Eben mal kurz zurückgeblättert – schon auf der Titelseite prangen sie dem geneigten Leser entgegen. “Mit Wundertee an einem Tag entschlacken. So geht’s”.

Und ich dachte immer, Schlacken fallen bei der Verbrennung von Kohle an, nicht aber bei der Verwertung von Nährstoffen. Oder funktioniert der menschliche Körper wie ein Hochofen?

Anscheinend.

“Restspuren von Alkohol, Nikotin, Konservierungsstoffen, aber auch belastende chemische Substanzen, die wir täglich mit Luft und Wasser aufnehmen – alles muss raus”, blurbt die Fernsehzeitschrift, gegen die Esotera sich wie eine ernsthafte Wissenschaftspublikation ausnimmt.

“Treten die Giftstoffe nach deftigen Weihnachtsschlemmereien in großer Formation an, sind Leber und Nieren überfordert. Giftstoffe setzen sich im Binde- und Fettgewebe ab. Sind auch diese Deponien voll, kommen Gelenke, Sehnen und Muskeln an die Reihe, aber auch Organe wie das Gehirn und die Leber.”

Weia! Und dann verleiht auch noch eine “Medizinerin, Ernährungsexpertin und Buchautorin aus Hamburg” diesem alarmierenden Szenario des rapiden körperlichen Post-Weihnachts-Verfalls eine beunruhigende Bestimmtheit.

Was läuft eigentlich verkehrt mit der Mediziner-Ausbildung in diesem Land?

Alle molekularen Substanzen im Körper (Mineralien, Aminosäuren, Zucker oder z.B. auch Medikamente) werden entweder unmittelbar im Stoffwechsel benötigt oder aber umgebaut und gespeichert, zum Beispiel Kohlenhydrate als Glykogen beziehungsweise Fett. Irgendwie “störende” Reste bleiben bei einem gesunden Menschen nicht zurück.

Überschüssige oder unbrauchbare Substanzen sowie Stoffwechsel-Endprodukte nehmen den vorgesehenen Weg und werden über Darm und Nieren ausgeschieden. Auch von Giftstoffen befreit sich unser Organismus sofort über Leber und Niere.

So genannte “Entschlackungsmittel” sind in aller Regel Abführmittel, die den Mastdarm reizen und den Defäktionsreflex auslösen – damit wird aber praktisch nur der letzte Schritt im perfekt organisierten Selbstentschlackungssystem (um es mal so zu nennen) des Körpers beschleunigt. Nur wenn dieses System in irgendeiner Weise gestört ist, können Erkrankungen wie Gicht entstehen.

Möglicherweise meint der englische Arzt und Autor Ben Goldacre ja solche Funk-Uhr-Experten, wenn er in seinem gerade erschienenen Buch “Die Wissenschaftslüge” den mannigfaltigen pseudowissenschaftlichen Bockmist auf dieser Welt würdigt. Zum Beispiel auch die “Entgiftungsmanie”:

“In der Biochemie stellt die Entgiftung ein bedeutungsloses Konzept dar. Sie reißt die Natur nicht aus den Fugen. In keinem Lehrbuch der Medizin findet sich irgendeine Abhandlung zum Thema Entgiftung…

Dass Burger und Bier sich negativ auf den Körper auswirken können, trifft sicherlich zu, aus unterschiedlichen Gründen. Doch die Vorstellung, dass sie spezifische Rückstände hinterlassen, die mittels eines spezifischen Prozesses, eines physiologischen Systems mit Namen Entgiftung ausgeschieden werden können, ist eine Erfindung schlauer Marketing-Manager.”

Oder cleverer Buchautorinnen. Allenfalls lässt sich “Entgiftung” wohl als kulturelles Konstrukt begreifen, als eine Art Reinigungs- und Erlösungsritual.

Das ist auch schon alles.

Allerdings könnten Zeitschriften wie die Funk Uhr mit Goldacres eher bodenständigen Tipps nicht zwei Doppelseiten füllen – sondern höchstens ein paar Zeilen:

“Wenn ich ständig auf Partys gehe, trinke, wenig schlafe und mich von Fertigfraß ernähre, merke ich normalerweise irgendwann, dass ich ein bisschen Ruhe brauche. Also bleibe ich ein paar Nächte daheim, lese und esse mehr Grünzeug als gewöhnlich.

Models und Promis dagegen entgiften.”

 
Direktlink zum Video auf Youtube

Zum Weiterlesen:

  • Ben Goldacre (2010): Die Wissenschaftslüge. Wie Pseudowissenschaftler uns das Leben schwer machen. Fischer Verlag, Frankfurt.

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