Jenny steht auf, geht einen Schritt und dreht sich zu mir.
„Pass bloß auf, es ist verdammt glatt!“
Erst jetzt fallen mir ihre hohen Absätze auf. Bewundernswert, dass sie damit so trittsicher ist. Ich will ihr nach – und liege im nächsten Moment auf dem Boden.
„Ist etwas passiert?“
Ich bemühe mich um ein Lächeln.
„Kein Problem!“
Ich stehe auf. Jenny steht schon an der Tür, greift nach der Klinke und wartet einen Moment, während ich langsam an ihr vorbei nach drinnen gehe und mir dabei den Schnee von der Hose klopfe. Auf dem Boden im Flur sind Wasserpfützen mit schmierigem Schneematsch.
„Scheiße, die Tür klemmt!“
Jenny ruckt an der Klinke, aber die Tür bleibt sperrangelweit geöffnet.
„Liegt da vielleicht so ein Keil auf dem Boden?“
Jenny schaut, schüttelt den Kopf, ruckt noch einmal – und eine Sekunde später hat sie die Klinke immer noch in der Hand und liegt der Länge nach im Matsch.
„Weh getan?“
Jenny sagt nichts und rappelt sich müde auf.
„Autsch, Mein Fuß!“
„Laß mal sehen!“
Mit gekonntem Griff drücke ich auf der von Schuh und Söckchen befreiten Extremität herum. Wie war das nochmal mit den Ottawa-Kriterien? Druckschmerz über dem Außenknöchel, keine Schwellung, kein Hämatom…
„Der ist bestimmt gebrochen!“ klagt Jenny.
„Schaun wir mal… kannste aufstehen?“
Ich helfe ihr auf die Beine. Sie humpelt ein paar Schritte.
„Wir müssen ins Krankenhaus, der Fuß ist mit Sicherheit gebrochen!“
Mit Jenny in der einen und ihrem Schuh in der anderen Hand bewege ich mich langsam wieder zurück in das längst brechend volle Lokal.
„Wir müssen ins Krankenhaus!“ wiederholt Jenny.
„Aber wie kommen wir dahin?“
„Geh und frag Tom!“
Nun ja. Ich kann nicht behaupten, dass mir der Gedanke, diesem Wichtigtuer noch einmal unter die Augen treten zu müssen, sonderlich behagt. Vor allem weil ich ihn um etwas bitten müsste. Ich könnte mir angenehmere Dinge vorstellen.
„Komm, geh schon und frag ihn!“
Was tut man nicht alles für eine schöne Frau?
Seufzend mache ich mich durch das Getümmel auf den Weg zum Haupteingang, wo Zerberus Tom mit Knopf im Ohr und Schlagstocktaschenlampe die inzwischen beachtliche Schlange der Zutrittwollenden unter Kontrolle hält.
„Entschuldigung…“
„Gefällt’s Dir nicht bei uns? Kannst jederzeit gehen!“
„Nee, es geht um Jenny, die junge Dame…“
„Ich weiß, wer Jenny ist! Was gibts?“
„Sie muss ins Krankenhaus. Könnte man vielleicht ein Taxi…“
„Ein Taxi?“ Der Zerberus lacht und schüttelt den Kopf.
„Ein Taxi? Um diese Zeit? Bei diesem Wetter? Junge, der Witz war gut! Ich stehe mit allen Taxifirmen im Umkreis von fünfzig Kilometern in Verbindung. Ausgebucht bis fünf Uhr früh. Vergiss es!“
„Aber es ist ein Notfall?“
„Notfall? Dann ruf doch ‘nen Krankenwagen! Dafür sind die schließlich da!“
Damit ist das Gespräch für ihn beendet. Er wendet sich demonstrativ ab und ich gehe langsam wieder nach drinnen.
Jenny sitzt immer noch da, wo ich sie abgesetzt habe und hält ihren schmerzenden Fuß. Um sie herum stehen mehrere Leute, ausnahmslos männlich, die meisten mit einer Flasche Bier in der Hand und geben gute Ratschläge.
Auch Marvin ist da. Besser wäre gewesen, er hätte auf der Stelle das Weite gesucht.
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