Die hitzige Debatte um den Silvesterbesuch Kardinal Schönborns in Medjugorje reißt nicht ab. Und auch der Kirchenmann selbst tut wenig, um das Thema endlich ad acta zu legen – was einigermaßen rätselhaft erscheint, wenn es sich doch angeblich bloß um einen rein privaten Aufenthalt, aus “ganz persönlichen Gründen”, gehandelt hat.
Stattdessen legt der Wiener Oberhirte unverdrossen nach und verkündet etwa in der katholischen Tagespost, er wolle “unbedingt wieder nach Medjugorje”.
Wozu eigentlich? Um erneut seinen Amtskollegen Radko Peric überaus unbrüderlich zu düpieren, der als Ortsbischof von Mostar auch für den angeblichen Marienerscheinungsort zuständig ist – und der seit Jahren einen ebenso verzweifelten wie aussichtslosen Kampf gegen Wundersucht und Superstition in seiner Diözese kämpft?
Offenkundig gefällt Schönborn sich in seiner neuen Rolle als Frontmann der Medjugorje-Lobby. Dass er diesbezüglich jede Zurückhaltung aufgegeben hat, kann man zum Beispiel einem aktuellen Interview mit der kroatischen Zeitung Vecernji entnehmen. Hierin stellt Schönborn den umstrittenen Wallfahrtsort Medjugorje in eine Reihe mit Lourdes und Fatima und lässt keinen Zweifel an seiner Einschätzung der Faktizität der Ereignisse aufkommen.
“In Medjugorje erscheint die Muttergottes in der kommunistischen Zeit, in einem Moment, als man noch nicht ahnen konnte, dass Jugoslawien zerbrechen wird, an einem Ort, wo Katholiken, Orthodoxe und Muslime noch zusammenlebten. Und sie zeigt sich uns unter dem Namen Königin des Friedens”.
Umso kurioser muten seine spitzfindigen theologischen Versuche an, die Bedeutung der “Erscheinungen” für Schönborns Interesse an dem kleinen Dorf in den Bergen der Herzegowina herunterzuspielen.
“Ich habe mich immer an die offizielle Position der ehemaligen Jugoslawischen Bischofskonferenz und der vatikanischen Glaubenskongregation gehalten. Diese Position habe ich immer für vernünftig, klug und mütterlich gehalten, also für eine weise Haltung der Kirche. Sie kennen diese Position, und ich erinnere noch einmal an die drei Aussagen über Medjugorje …
Die erste betrifft die Phänomene. Da ist die Position der Jugoslawischen Bischofskonferenz von 1991 und der römischen Glaubenskongregation eindeutig: ‘Non constat de supernaturalitate.’
Ich bin selber Dogmatiker und war Professor für Dogmatische Theologie. ‘Non constat de supernaturalitate’ heißt, die Kirche hat noch kein endgültiges Urteil über die Übernatürlichkeit der Phänomene gesprochen. Sie hat weder gesagt: ‘Constat de non supernaturalitate’, noch hat sie gesagt. ‘Constat de supernaturalitate’.
Das heißt, sie hat weder die Übernatürlichkeit verneint, aber sie hat sie auch nicht bejaht. Das heißt im Klartext: Diese Phänomene sind noch nicht von der Kirche beurteilt worden, und ich denke persönlich, dass das auch richtig so ist.”
Da kann man eigentlich nur noch eine Passage aus “Der Name der Rose” zitieren:
“Zu diesen Spielchen sage ich Euch, was ein Vers besagt, den ich einmal von einem Eurer Prediger hörte: Tum podex carmen extulit horridulum!”
Maulfürze, genau. Denn vermutlich ist dem “Dogmatiker und Professor für Dogmatische Theologie” völlig klar, dass die katholische Kirche damit selbstverständlich ein gültiges Urteil über Medjugorje gesprochen hat, das auch keiner späteren Neubewertung mehr bedarf.
In Kurzform: Theoretisch hat die Kirche drei Möglichkeiten:
- die Anerkennung, dass es sich um übernatürliche Vorgänge handelt (”Constat de supernaturalitate”)
- die Bestreitung, dass es sich um solche handelt (”Constat de non supernaturalitate”)
- die Feststellung, dass man es nicht weiß (”Non constat de supernaturalitate”, zu Deutsch: “Es steht nicht fest, ob es sich um Übernatürliches handelt.”)
Die dritte Medjugorje-Untersuchungskommission entschied sich 1991 in ihrer “Erklärung von Zadar” für die letzt genannte Formulierung. Das heißt: Die Amtskirche erkennt die “Erscheinungen” weder an noch verwirft sie sie.
Und: Diese Floskel ist seit Jüngstem die übliche Stellungnahme der Kirche und wurde zum Beispiel auch im Fall Marpingen 1999 proklamiert. Man will von den “Erscheinungen” profitieren, sich aber nicht festlegen.
Vielen Medjugorje-Fans reicht das anscheinend nicht mehr. Ob sie – nun mit Kardinal Schönborn an der Spitze – Erfolg haben werden, ist fraglich. Papst Benedikt XI. soll jedenfalls auf eine direkte Frage zur Anerkennung der Marienerscheinungen in Medjugorje nur “verwundert gelächelt” haben.
Andererseits aber gilt Benedikts größte Sorge bekanntlich der “Verweltlichung”. “Marianische Traditionalisten haben das gleiche Anliegen”, schreibt die Theologin Monika Hauf in ihrem Buch “Marienerscheinungen“. “Warum also sollte Benedikt sie nicht fördern?
Es bleibt spannend.
Zum Weiterlesen:
- Bernd Harder (2006). Medjugorje – die unerzählte Geschichte. Skeptiker 4/2006, S. 158ff.