Chatroulette, oder: Warum die Lust am Zufall nur durch vermeintliche Kontrolle funktioniert

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Zugegeben – die folgenden Verbindungen und Übergänge sind vielleicht ein bisschen weit hergeholt…aber ich erlaube sie mir/ genau deswegen erlaube ich sie mir/, an dieser Stelle /trotzdem/ – ermutigt durch die aktuelle Lektüre des Romans Völker dieser Welt, relaxt! in dem es unter anderem um die merkwürdige und beachtliche menschliche Fähigkeit des Assoziierens – also des vom Hölzchen-aufs-Stöckchen-Kommes des Bewusstseins – geht. Zum anderen deshalb, weil ich gerade /zufällig/ mit dem Thema Aleatorik und écriture automatique (wir erinnern uns- das Prinzip des Zufalls in der Kunst…#Mallarmé #Surrealismus #Dadaismus …ismus) in Berührung gekommen bin – und zwar in einem sehr inspirierendem Gespräch mit unserem Chefentwickler Jens (O Hai), der sich mit der Thematik vor einiger Zeit unter anderem in seinem Vortrag Ghost in the machine auf der Roboexotica auseinandergesetzt hat.

Zufall als Gestaltungs-und Unterhaltungs-Prinzip – das ist also nicht neu und wird bestenfalls immer wieder in neuen Gewändern aufgeführt… In neuer-alter Robe präsentiert es sich nun im Netz unter dem Namen chatroulette.com. (Folgt man der Behauptung, dass chatroulette eine "Rückkehr in die Anfangszeiten des Internets ist, als Chats noch anonyme Abenteuer in einer sich gerade erst elektronisch vernetzenden Welt bedeuteten, ist es eher alt.)
Wie der Name schon sagt, handelt es sich hierbei um ein Videochatsystem, das per Zufallsgenerator zwei Chatpartner miteinander verbindet. Spätestens seit gestern ein Interview mit dem 17jährigen Erfinder Andrej Ternowskij auf spiegel-online erschienen ist- muss ich das wohl niemandem mehr erklären.

Trotz vielfältiger Warnungen besorgter KollegInnen habe ich es zu Recherchezwecken (…) jetzt auch mal ausprobiert. Irgendwie will man ja dann doch wissen, worüber man da schreibt und redet – zumal chatroulette – wie die Online-Sprechstunde auch – auf der Flash/Flex-Technologie basiert (darüber hinaus hielten wir randomisierte Arztwahl á la doc-roulette-allerdings nicht für sinnvoll!). Gruselig fand ich, dass ich innerhalb von 5 Minuten und 25 mal "nexten" zufällig… hauptsächlich Männer Anfang 30 (5 davon sehr! leicht bekleidet, 2 davon in Uniform, die anderen hatten meist ein Unterhemd an) zugeschaltet bekam. Zugegeben – der "Next"-Button gab mir bei all dem Schrecken ein gewisses Gefühl von Kontrolle und Sicherheit. Andernfalls hätte ich die randomisierte Freakshow wohl keine 5 Minuten durchgehalten.

Hätte ich mir diesen Film von Casey Neistat vorher angesehen, hätte ich gewusst, was mich erwartet:

chat roulette from Casey Neistat on Vimeo.

Um den Kreis zu schließen: Zum Teil lässt sich die Faszination am Zufallschat sicherlich mit der merkwürdigen Mischung aus Zufall und Kontrolle, Ungewissheit (was kommt) und Gewissheit (wenns mir nicht gefällt, klicke ich weiter) erklären. Das heißt: der Zufall waltet – der Nutzer schaltet – einfach, anonymisiert und so oft, so lange und so leicht bekleidet, wie er will… . Keinesfalls erklärt das aber den Hype und schon gar nicht die Sucht, die mache Nutzer befällt… .

Um zum Schluss noch einmal auf die Verbindung von Zufall und Literatur zu kommen – so entwarf ein Professor für Popkultur von der Syracuse University, Robert Thompson, das folgende Szenario: „Da trifft jemand eine Person, und beide scheinen füreinander bestimmt. Wenn da einer aus Versehen auf ´Next´ klickt, werden sie sich niemals wiederfinden. Das ist der Stoff für eine großartige Kurzgeschichte." (focus.de)

Quellen:

www.spiegel.de 17-jähriger Chatroulette-Erfinder: "Mama, Papa, ich expandiere"

Casey Neistat: chat roulette

www.focus.de Chatroulette Video-Chat mit Zufallsgenerator

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