Dissoziation

dissoziation.jpgWer etwas Einschneidendes erlebt, wird vielleicht feststellen, dass innerlich “zwei Filme ablaufen”: Einerseits kann man klar denken, andererseits erlebt man starke Gefühle. Menschen, die einen Unfall haben, empfinden oft keine Schmerzen – oder sie erinnern sich später nicht mehr daran. Obwohl die Dissoziation in manchen Lehrbüchern schlicht als psychische Funktionsstörung beschrieben wird, ist die Fähigkeit zur Dissoziation auch eine Stärke, die uns in extremen Situationen schützt. Denken und Fühlen gehen dabei auseinander. (Text: © Dunja Voos, Bild: Karl-Heinz Laube, Pixelio)

Die Schwierigkeit, Getrenntes zusammenzuführen

Die Dissoziation bewahrt uns davor, von zu starken Gefühlen übermannt zu werden. Viele Menschen, die in der Vergangenheit Schlimmes erlebt haben, können detailliert von dem Geschehen erzählen, empfinden dabei aber nichts. Doch in Träumen und in verschiedenen Situationen taucht der Schrecken der damaligen Situation wieder auf. Nur in Anwesenheit einer beschützenden Person, z. B. eines Seelsorgers oder Therapeuten, ist es dann manchmal möglich, die dazugehörigen Gefühle wieder zuzulassen und zu verarbeiten.

Dissoziation und Hysterie

Die Dissoziative Störung kann Teil aller möglichen psychischen Störungen sein. Heute tritt die Diagnose “Dissoziative Störung” oft an die Stelle der Diagnose Hysterische Neurose. Man sagt, verschiedene Ich-Zustände sind bei der Dissoziation nicht miteinander verbunden (sekundäre Spaltung). Ein Ich-Zustand wird verleugnet, während der andere gerade aktiv ist. Der verleugnete Zustand bleibt dem aktuellen verborgen. Dieser Mechanismus schützt die Psyche davor, eine traumatische Erinnerung wieder voll zu erleben.

Die Dissoziation hat viele Gesichter

Es gibt Dissoziationen der Wahrnehmung, aber auch des Denkens.

Bei der Affektdissoziation wird nur ein Teil der Gefühlswelt wahrgenommen. Man freut sich scheinbar über das Geschenk, verdrängt aber den unangenehmen Druck in der Magengegend. Dissoziierte Gefühlszustände erwecken den Eindruck von Oberflächlichkeit.

Bei der Identitätsdissoziation verdrängt der Betroffene wesentliche Teile seines Selbst. Er ist anders, als er scheint. Patienten mit einer Angststörung fühlen sich beispielsweise manchmal “nur schwach”. Dabei verdrängen sie ihre starken und mitunter auch aggressiven Seiten so sehr, dass sie sie überhaupt nicht fühlen können. Sie haben in dem Moment scheinbar keinen Zugriff mehr auf ihre Stärken.

Identitätsdissoziationen gibt es auch häufig bei Unsicherheiten in der eigenen Geschlechterrolle. Verzweifelt suchen Betroffene manchmal nach Anerkennung und spielen “den tollen Hecht” oder das “Supergirl”, obwohl sie sich innerlich kläglich fühlen. Die gezeigte Persönlichkeit und das innere Selbstgefühl stimmen nicht überein.

Zurück zu den verschütteten Gefühlen

In einer Psychotherapie kann es gelingen, die verschütteten Anteile, die dem Betroffenen das Leben schwer machen, wiederzufinden. Stück für Stück kann danach gesucht werden. Das erfordert Mut und Zeit, lässt die Betroffenen aber oft wieder “ganz” werden. Sie selbst fühlen sich wieder bodenständiger und kontaktfähiger. Wer sich für eine tiefenpsychologische Therapie interessiert, der findet Adressen bei der Deutschen Gesellschaft für Tiefenpsychologie, Psychotherapie, Psychosomatik und Psychoanalyse (DGPT), www.dgpt.de.

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Hysterische Neurose
Konversionsstörung

Zum Nachlesen:

Michael Ermann:
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Ein Lehrbuch auf psychoanalytischer Grundlage.
Kohlhammer Stuttgart 2004: 64, 166–167

Buchtipp:

Ellert Nijenhuis:
Somatoforme Dissoziation.
Junfermann-Verlag

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