Dieser Kerl ist mir von Anfang an unsympathisch. Er hat schulterlanges, grauweißes und schon schütter werdendes Haar, einen eindrucksvollen Schnauzbart und dazu teure Markenklamotten, Schnauzbart und eine schöne Frau an seiner Seite, die maximal halb so alt ist wie er selbst.
Und ich erinnere mich dunkel daran, dass er schonmal hier war, mit einer ebenso schönen Frau, aber die jetzige ist noch schöner und noch jünger.
Und eigentlich geht es ja um die Frau.
Auschließlich um die Frau. Die will ich jetzt untersuchen, aber er hat sich zwischen mir und ihr aufgebaut und streckt mir seine Hand entgegen.
“Tut mir leid, meine Frau spricht kein deutsch!” sagt er.
Ich nicke ihm zu und wende mich dann an die Patientin.
“Guten Tag, was kann ich für Sie tun?”
Schnauzbart beugt sich über die Liege und brüllt ihr ins Ohr: “Doktor fragen, wo weh tun!”
Und dann, deutlich leiser, zu mir:
“Sehen Sie, sie kann wirklich kaum Deutsch!”
Die Frau deutet auf ihren Bauch.
“Sie will sagen, sie hat Bauchschmerzen!”
Ach nee, da wäre ich jetzt nicht drauf gekommen!
“Seit wann tut’s Ihnen denn weh?”
“Doktor fragen seit wann Du haben Schmerzen!”
“Seit gestern Abend!” sagt die Patientin, zwar mit Akzent, aber gut verständlich.
“Ist Ihnen übel? Haben Sie erbrochen? Oder Durchfall?”
“Doktor fragen…”
Hinter mir wird eine Tür geöffnet. Ich fühle eine Hand auf meiner Schulter und dann eine Stimme dicht neben meinem Ohr.
“Doktor sagen Du jetzt Schnauze halten!”
Ich zucke zusammen und der – ähem – Partner der Patientin ist mindestens ebenso überrascht.
Wir drehen uns um. Und da steht Kalle.
“Darf ich Sie freundlicherweise bitten, den Raum zu verlassen?”
Schnauzbart-Goldkettchen will etwas sagen, aber Kalle schiebt ihn freudlich und bestimmt in Richtung Tür und schließt selbige hinter ihm.
Eine halbe Stunde später sitzen wir dann im Aufenthaltsraum.
“Sag mal, weißt Du wer das war?”
Kalle nickt.
“Zehn Jahre Knast wegen Zuhälterei und schwerer Körperverletzung. Früher mal war er der Unterweltkönig von Bad Dingenskirchen, aber jetzt braucht man vor ihm keine Angst mehr zu haben. Sagt Madame Jaqueline, und auf die ist Verlass!”
Ach wie schön, dass Kalle wieder da ist. Manchmal könnte ich ihn umarmen.