Braucht ein Medizinstudent oder ein werdender Arzt ein Vorbild, dem er in seinem “Arztwerdungsprozess” nacheifert? Oder einen “Lehrer”, der seine herausragenden Fähigkeiten seinem begabten Nachwuchs weitergibt? Ich denke schon, wenngleich man darüber diskutieren kann. Kürzlich hatten wir Medizinstudenten zu einer Diskussion im Verlag – von ihnen habe ich erfahren, dass für nicht wenige Medizinstudenten Dr. House das Vorbild sei. Dr. House??????
Ein Arzt, der schmerzmittelabhängig ist, Patienten respektlos behandelt, ein Egozentriker ist und nach seinen eigenen Moralvorstellungen handelt? Sicher, die Figur ist Kult – aber ein Vorbild für angehende Ärzte? Ich weiß nicht … dient er vielleicht als Projektionsfläche für die eigenen Sorgen bezüglich der beruflichen Zukunft? Ist er ein Vorbild, weil er das macht, was er für richtig hält, ungeachtet der ihn umgebenden Situation? Der keine Probleme damit hat, anzuecken? Dabei wird doch eigentlich deutlich, dass er selbst jede Menge Probleme mit sich herumträgt. Vielleicht macht ihn das aber auch wiederum menschlich oder zumindest schräg?
Ich halte es da eher mit Bernard Lown, der mein Lieblingsbuch “Die verlorene Kunst des Heilens” geschrieben hat. Kennt ihn jemand als Autor? Er schreibt von seinen “Lehrern”, von denen er sich die Kenntnisse und Fähigkeiten angeeignet hat, die er für erstrebenswert hielt. Und dazu gehörten nicht nur medizinisch-fachliche Kenntnisse, sondern zu einem großen Teil auch die Art und Weise des Umgangs mit dem Patienten. In Lowns Buch erfährt der Leser sehr eindrücklich, wie bereits der erste Kontakt mit dem Patienten Teil der ärztlichen Heilkunst sein kann. Dabei geht es überhaupt nicht um die sogenannte “sprechende Medizin”, sondern es geht um eine innere Haltung, die der Arzt dem Patienten entgegen bringt. Die dem Patienten ermöglicht, mit der Persönlichkeit des Arztes in Berührung zu kommen, was schon Teil des Heilungsprozesses sein kann. Nicht sein muss, aber sein kann.
Jetzt höre ich förmlich schon die Entgegnungen, dass das Krankenhaus heute mit seiner fließbandartigen Dienstleistungsmedizin auch bei Ärzten keine solche Haltung zulässt geschweige denn entwickeln lässt. Glaube ich gerne, aber sollte man sich dann nicht die Stellen suchen, wo das möglich ist? Sollte man sich dann nicht eben Vorbilder suchen, und wenn es sein muss, auch aus der Literatur?
In diesem schrecklichen Artikel, den Solotoj in seinem Kommentar zum vorigen Eintrag verlinkt (Capuchinogeschichten) schreibt die Autorin sehr schön und sehr treffend:
“Arzt zu werden ist ein Prozess, erfordert Erfahrung und die benötigt Zeit.”
und:
“Wir scheinen komplett vergessen zu haben, dass Medizin eine Kunst ist, ein Handwerk, das erlernt und geübt werden muss, um gemeistert zu werden. Ein Tänzer wird seinen Körper trainieren mit Leidenschaft, mit Disziplin, über Jahre, ein Pianist, im übertragenen Sinne ebenso. Sie werden, bei herausragender Begabung, auch frühzeitig Solisten. Durch monatelanges Zusehen oder Üben auf dem Papier jedoch wird man nie Solist. Man wird bestenfalls zum Lesezeichen – zwischen den Seiten vergessen. Niemand käme auf die Idee, einen Tanzwissenschaftler als Solisten einzusetzen. Auch nicht als Choreograph. […] Klinische Heilkunst am Patienten erfordert Jahre der Übung, der Erfahrung. Ein freier Beruf ist die Medizin und vor allem eine Kunst. Sie braucht Zeit, Enthusiasmus, Disziplin, Talent, Motivation. Sie muss bis zur Exzellenz angestrebt werden. Wir tanzen nicht, wir spielen nicht Klavier. Wir arbeiten indes mit äußerst fragilen menschlichen Wesen.”
Also selbst diese Ärztin sucht einen anderen Weg, obwohl sie eine schreckliche Realität hier kennen gelernt hat. Die Frage ist, ob uns auf diesem Weg Vorbilder wie Dr. House helfen können?
(Uli)
Und noch eine ganz aktuelle Nachricht zu dem Thema: Auch medizinisch sollte Dr. House kein Vorbild sein! Unzufrieden mit TV-Kollegen: Kanadische Forscher kritisieren Erste-Hilfe-Maßnahmen in Arztserien: Zum Artikel bei Fokus online