Erneut: Heroin-Studie. Wieder Herbst 2009.

Felix Hoffmann starb 1946 einsam, allein und vergessen in der Schweiz. Armer Kerl.
 
48 Jahre zuvor hatte er für seinen Arbeitgeber, die Firma Bayer, kurz hintereinander zwei bedeutende umsatzträchtige Erfindungen gemacht: Acetylsalicylsäue und Diacetylmorphin, besser bekannt unter den Handelsnamen Aspirin und Heroin.
Handelsnamen?

Ja, klar: Heroin war als Medikament gedacht und mit einer – auch an heutigen Maßstäben gemessen – bemerkenswert cleveren und erfolgreichen Strategie in den Markt gedrückt worden. Ursprünglich als Gegenmittel zum süchtig machenden Morphin gedacht, entwickelte es sich schnell zu einer properen umsatzstarken Universaldroge: gegen Husten, Schmerzen, Depressionen, Asthma oder Magenkrebs. Man schluckte das Zeugs damals, die Nebenwirkungen hielten sich in Grenzen und Sucht kam nur als Rarität vor.
 
Zwischenerklärung: Bei jeder Substanz hängen Wirkungen und Nebenwirkungen von Reinheit, Dosis und der Art der Verabreichung ab. Manche Substanzen wirken beispielsweise gar nicht, wenn sie geschluckt werden, andere nur teilweise, manche entfalten, wenn sie in die Vene gespritzt oder geraucht werden, andere Wirkungen als geschluckt.
 
Irgendjemand kam nun in den USA auf die Idee, sich das bis dahin geschluckte Heroin in die Vene zu spritzen. Mit Erfolg: Derart verabreicht, stellten sich traumhafte Wirkungen ein, insbesondere eine bis dahin nicht gekannte Euphorie. So etwas macht natürlich schnell die Runde und in Nullkommanichts war eine neue Welle kreiert.

Nun hat mindestens in der Pharmakologie jede Wirkung auch eine Nebenwirkung. Im Fall des gespritzten Heroins hatte man sich die Abhängigkeit eingehandelt. Folglich füllten sich die Spitäler mit Menschen, die gar nicht genug von dem Zeug bekommen konnten, jedes Maß verloren hatten und unter dem unnachgiebigen Diktat des Heroin ihr Leben fristeten.
Das kam dann gar nicht mehr so gut an, die Substanz wurde stärker kontrolliert, der Schwarzmarkt blühte und bescherte den Herstellerfirmen noch einmal satte Gewinne, aber die Restriktionen wurden immer schärfer und Anfang der 30er Jahre kam die legale Produktion fast vollständig zum Erliegen.
 
Nun also auf ein Neues.
 
Doch vorab eine Bemerkung, die dieser Tage und in diesen speziellen Zusammenhängen notwendig ist, will man nicht flugs in einer Schublade verschwinden, für die man nicht gebaut ist: Ich bin weder Hardcore-Abstinenzler noch Substitutions-Hasser; allerdings zähle ich mich auch nicht unbedingt zu den Mainstream-Freischwimmern. Und natürlich dementiere ich vorsorglich und nachdrücklich, auch nur den Hauch eines  Anscheines erwecken zu wollen, die angeblich 30 Millionen Euro teure Heroinstudie sei auch nur teilweise aus anderen als den Mitteln unseres mittellosen und maroden Gesundheitssystemhaushaltes finanziert worden.
 
Nun denn, zur Sache und damit zu den Kinken der Studie, auf die derzeit von Grün bis Rot so ziemlich alles abfährt, was irgendwo Bewegung suggerieren will.
 
Die Zielgruppe
Wie schon das Methadon ist auch das Heroin (Nomen est omen) ausschließlich ein Ersatz für Heroin. Keinesfalls für Kokain, Haschisch, Tabletten wie Valium oder Ecstasy, Amphetamin und was der Leckereien mehr sind. Deshalb war die Ersatzstofftherapie (= Substitution) immer gedacht für den so genannten reinen Heroiniker, also einen abhängig kranken Menschen, der ausschließlich Heroin konsumiert. Dummerweise ist diese Spezies seit etlichen Jahren so gut wie ausgestorben: fast alle Abhängigen, die Heroin konsumieren, nehmen auch andere Stoffe, meistens Kokain, Tabletten und Haschisch, mindestens. Auf den Konsum dieser Substanzen hat das Substitut (Methadon, Heroin) allerdings keinen Einfluss, was bedeutet, dass diese Stoffe munter weiter konsumiert werden.
Fairerweise muss man einräumen, dass die gültigen Definitionen von Heroinabhängigkeit und so genanntem polyvalenten Drogenkonsum (also mehrere Stoffe gleichzeitig) es möglich machen, einen Menschen als "Heroinabhängig" zu definieren, auch wenn er anderes in ordentlichen Mengen zusätzlich konsumiert: der Konsum der "bevorzugten Substanz" ist entscheidend. Theoretisch also möglich, praktisch eigentlich schwachsinnig, weil so nahezu alle polyvalent Abhängigen zu Heroinikern definiert werden können – was vermutlich nicht so ganz im Sinne des Erfinders sein dürfte.
Wie dem auch sei: die Anzahl derer, die zur Substitution-Zielgruppe gehören, dürfte damit per definitionem gewachsen sein.
 
Ein Erfolgskriterium
Das eben Gesagte ist selbstverständlich auch den Machern der Heroinstudie bekannt, sie sind ganz gewiss alles andere als unintelligent. Vielleicht deshalb haben sie vorsorglich ein wichtiges Erfolgskriterium so wenig anspruchsvoll formuliert: Ging es in den Methadonprogrammen (offiziell jedenfalls) immer auch darum, den so genannten "Beikonsum" – also die ganzen anderen Substanzen, die neben dem Substitut konsumiert werden – zu reduzieren oder ganz zu beenden, gilt im Heroinprojekt ein anderer Maßstab: Erfolg ist, wenn der Konsum von Kokain nicht steigt. Holla! Das nenn’ ich Bescheidenheit. Erst recht für eine Therapie, die mindestens das Vierfache der Methadon-Substitution kostet.
 
Damit aber selbst diese neue Bescheidenheit nicht zu anspruchsvoll ist, wurde ein weiteres, Erfolg versprechendes Kriterium eingearbeitet: die Messmethode. Denn die Tatsache, ob bei einem Probanden der Kokainkonsum wirklich nicht gestiegen ist, wird auf zweierlei Art überprüft. Entweder durch eine Testung oder durch die Selbstauskunft des Abhängigen.
Man muss wohl vermuten, dass unter den Studienteilnehmern so etwas wie die neue Ehrlichkeit ausgebrochen ist – ein schöner Erfolg angesichts der bisherigen Steuerung durch eben diese Substanzen, die Schwerstabhängige (Zielgruppe!) regelmäßig nicht nur zu Schummeleien, sondern auch ausgeprägten kriminellen Handlungen gezwungen (das meine ich wirklich so) hat.
 
Ein Anreiz
Methadon hat gegenüber Heroin unter anderem einen entscheidenden Nachteil: es macht keinen "Kick" (also jenes, von allen Heroinkonsumenten als das "geilste Feeling der Welt" titulierte Hochgefühl beim Anfluten des Heroin im Gehirn). Es ist also nur natürlich, wenn eigentlich alle Substituierten dieser Wirkung des Heroin nachtrauern und sonst was dafür gäben, es wieder zu erleben. Da trifft es sich gut, dass den Teilnehmern der Vergleichsgruppe innerhalb der Heroinstudie, die mit Methadon substituiert wurden, die Option zum Wechsel in die Heroin-Gruppe offeriert wurde; so hält man die Leute bei der Stange, kann die erstaunlich hohe Abbruchquote von fast 40% der Heroin-Teilnehmer locker kompensieren und hat gleichzeitig noch den Effekt, dass sich ein gewisser Trend – weg vom Methadon, hin zum Heroin – fast von selbst ergibt.
 
Nun gut, damit erstmal genug für heute…

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *