auf meinem bücherstapel war es schon zu sehen, jetzt schreib ich auch mal was dazu:
kinder verstehen vom kollegen renz-polster.
der mann hat mich schon bei seinem vorgängerbuch “gesundheit für kinder” begeistert, dort war er nur mitautor, aber sicher in seiner schreibe maßgeblich beteiligt, und während er dort die kinderheilkunde im ganzen beleuchtet, eltern einen guten (auch alternativen) blick auf die kindergesundheit liefert – ist das neue buch ganz anders.
zunächst wirkt es wie ein klassischer ratgeber für frustrierte eltern (“ich verstehe mein kind nicht mehr!” – komm, dann lies doch mal “kinder verstehen”!) – aber das ist sicher zu kurz gedacht. renz-polster zeigt anhand der typischen eltern-kind-probleme (essen, schlafen, trotzen), dass all diese probleme nicht immer hausgemacht sind – dem vorwurf stehen doch viele eltern gegenüber -, sondern evolutionsbedingt sind. das kind isst schlecht? vielleicht isst es nur gezielt, nämlich die dinge, von denen die evolution weiss, dass sie vermeintlich nicht gefährlich seien , weil energie bringen (nämlich nicht etwa der bittere, aber gesunde broccoli, sondern das süße schokoladeneis). das kind kann nicht alleine einschlafen? vielleicht lebt es einfach in der steinzeitbedingten geborgenheit der höhle, die so anders ist, als das einsame kinderzimmer mit den ungeheuern im wandschrank und den klappernden jalousien?
ein spannender gedanke, eine interessante reflexion, und ich liebe diese gedankengänge und -konstrukte, ähnlich denen von winterhoff und seinen kleinen tyrannen, der allerdings als kinder- und jugendpsychiater einen ganz anderen hintergrund und damit denkansatz bietet. renz-polster ist kinderärztlicher kollege und auch vater, auch das liest man seiner schreibe hinterher.
nun sollte man aber nicht meinen, der evolutionsgedanke entschuldigt alles. so wird schnell aus einem “mein bobele hat nun einmal einen starken charakter” auch dazu noch ein “… und einen enormen evolutionsdruck”. ganz im darwinschen sinne, dass die auslese die entwicklung der geschöpfe prägt. das wäre doch eine zu kurze denkweise. denn schließlich bedeutet doch evolution auch, sich den begebenheiten der umwelt bestmöglich anzupassen – und das bedeutet, dass evolution auch im kleinen kosmos der familie stattfindet: wer seinem kind zu wenig soziale prägung gibt, zu wenig halt, zu wenig grenzen, der sorgt auch nicht für die kleine evolution in der familie, die sich erziehung nennt, sondern entlässt sein kind erziehungsfrei in die welt und wird vermutlich stranden.
so ist dieses buch kein typischer ratgeber, aber seine lektüre entlässt einen deutlich gelassener mit den widrigkeiten des kindlichen verhaltens umzugehen, hinterlässt sogar manche schmunzelgeschichten und “ja, so ist es bei uns doch auch.” der mensch ist nun einmal teil der evolution, er ändert sich, im verhalten, in der psyche, aber manche urinstinkte halten sich über jahrmillionen. und wie wir alle wissen, ist die menschheit des homo sapiens bisher für die evolution im ganzen nur ein mückenschiss. was ärgern wir uns also, wenn klein-bobele mal sein lecker´s broccoli-gepampe nicht isst? und für erziehung brauchts vielleicht auch wieder ein wenig mehr instinktives und authentisches handeln, ohne zuviel kopfsteuerung.
ein empfehlenswertes buch – sollte entgegen der ratgeberflut häufiger gelesen werden. eine nette homepage, die das buch ergänzt, aber auch als guter einstieg in die materie dient, gibt es noch dazu.