Krank durch Diagnose 2

Teil 2 Der Weg zur Diagnose
Im letzten Artikel wurde der Begriff Diagnose und der Weg dorthin erklärt. Der Ablauf im Patienten-Arzt-Verhältnis ist von der Struktur immer gleich:
Ein Mensch wird zum Patient und sucht in aller Regel seinen Hausarzt auf. Der Hausarzt stellt im ersten Schritt allgemeine und gezielte Fragen (Anamnese), dann untersucht er den Patienten. Diese Untersuchung reicht von einem Blick, bis hin zum Schreiben eines EKGs oder Abhorchen der Lunge per Stethoskop. Falls der Hausarzt zu keinem Ergebnis kommt, lässt er untersuchen. In diesem Fall werden Fachärzte und/oder Apparate zu Rate gezogen. Dieser letzte Schritt ist nicht zwingend, die ersten beiden Schritte so gut wie immer.
Detektivarbeit
Das Ermitteln einer Diagnose kann der schwierigste Teil einer Erkrankung sein, manchmal schwieriger als die anschließende Therapie. Zähes Ringen um eine Diagnose ist vergleichsweise selten, geschieht allerdings heutzutage häufiger als es nötig wäre. Dazu komme ich noch.
Genaue Diagnose oft unnötig
Im medizinischen Alltag sind Krankheitsgeschichte und Untersuchung zwar entscheidend zur Beurteilung eines Krankheitsfalles, aber eine genaue Diagnose ist oft von nachrangiger Bedeutung. Das mag überraschend klingen, ist aber medizinischer Alltag. Im Falle einer harmlosen oder leichten Erkrankung ist eine Diagnose von untergeordnetem Interesse. Der Einfachheit halber wird einfach das Symptom zur Diagnose, also die Beschwerde zur Krankheit, und behandelt. Husten, ein Symptom, wird zur Krankheit, ebenso Schnupfen, Kopfschmerz, Schwindel usw.
Ein gutes Beispiel ist der Rückenschmerz. Ein Patient leidet unter Schmerzen in der Lendenwirbelsäule. Dies geht seit drei Tagen und wird immer schlimmer. Er besucht den Arzt, weil er sich kaum mehr bewegen und deswegen nicht zur Arbeit gehen kann. Die ärztliche Untersuchung zeigt zwar eine schmerzbedingte Schonhaltung und ein paar Muskelverhärtungen lassen sich ertasten, aber sonst ergeben sich keine Auffälligkeiten, bis auf den empfundenen Schmerz. Es ist zu vermuten, dass mit körperlicher Schonung und ein paar abschwellenden Schmerzmitteln die Lage innerhalb weniger Tage im Griff zu bekommen ist.  Die Diagnose lautet Lumbago (Schmerz in der Lendenwirbelsäule – im Volksmund Hexenschuss). Genau genommen ist das keine Diagnose, sondern die Beschreibung des Zustandes. Eine Diagnose wäre es erst, wenn man genau ermittelte, woher diese Schmerzen rühren.
Wendepunkt in der Diagnostik
An dieser Stelle wird weiterführende Diagnostik (Untersuchungen) eventuell zur Gefahr. Können sich Patient und/oder Arzt, trotz fehlender schwerwiegender Befunde, nicht damit zufrieden geben, dass einfach die Beschwerden zur Diagnose werden, kann es an dieser Stelle zu einem entscheidenden Wendepunkt in der Krankheitsgeschichte des Patienten kommen.
Der Ablauf in der heutigen Medizin stellt sich in etwa so dar:
Für eine genauere Diagnose wird eine Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule in die Wege geleitet. Der Befund ist unauffällig. Der Röntgenarzt empfiehlt ein MRT zur präzisen Beurteilung der Bandscheibensituation. Der Hausarzt stimmt zu, entweder will er die Untersuchung selbst auch für richtig hält, oder weil er wird vom Patienten überredet bis genötigt wird. Wie so etwas im Praxisalltag aussieht, dazu kommen wir noch.
Leiden durch Wissen
Das MRT (Kernspintomogramm oder auch „Röhre“) zeigt zwei oder drei vorgewölbte Bandscheiben. Der Röntgenarzt schüttelt weise sein Haupt, ob des schwerwiegenden Befundes. Er erwähnt zwar, dass eine Vorwölbung kein Vorfall ist, aber fast. Es handele sich um eine Protrusion, nicht um einen Prolaps. Er würde eine CT-gesteuerte Spritzenserie empfehlen.
Der Patient versteht nur Bandscheibenvorfall und bedeutende Fremdwörter. Der Hausarzt, falls er an dieser Stelle noch etwas zu sagen hat, sitzt in der Falle. Sagt er durch die Blume oder ganz offen, dass der Facharzt übertreibt, dass Krankengymnastik, Schonung und Tabletten reichen, glaubt der Patient möglicherweise, dass er nicht ernst genommen wird. Unterstützt der Hausarzt den Vorschlag leitet er, vielleicht sogar wissentlich, möglicherweise vollkommen sinnlose Therapiemaßnahmen in Gang.

An dieser Stelle verweise ich auf meine kleine Artikelreihe Wer fängt an
Dieser Fall ist nur ein kleines Beispiel. Er zeigt aber, wo die Crux in der heutigen Medizin liegt. Jede der beteiligten Parteien spielt ihre Rolle, der Patient, der Hausarzt und der Facharzt. In anderen Fällen kommen noch Apotheker, Krankengymnast, Ergotherapeut, Logopäde, Krankenkasse, Fachliteratur, Laienmedien, Medikamentenhersteller und der gesamte paramedizinische Bereich dazu. Die Liste birgt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Einzelnen beteiligten werden im nächsten Artikel beleuchtet.

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