Teil 4 Ein Fazit
Im letzten Artikel dieser Reihe wurden die Gefahren einer Jagd nach der Diagnose, anhand des Symptoms Schwindel ausführlich dargestellt. Der Schwindel stand dabei als Teil des Ganzen. Gefahren wurden aufgezeigt, die heutzutage möglicherweise größer sind, als die Gefahren, die vom Symptom selbst ausgehen. Sehr selten steckt beispielsweise hinter dem Symptom Schwindel eine gefährliche Erkrankung, ebenso wenig wie hinter dem Symptom Rückenschmerz oder hinter dem Gefühl von allgemeiner Schwäche und anderes mehr. Hier kann nur ein Arzt mit Augenmaß helfen, der einerseits schwerwiegende Krankheiten nicht übersieht, andererseits der Natur eine Chance gibt, das Symptom von allein verschwinden zu lassen. Hierin lag meines Erachtens schon immer eine der wichtigsten Aufgaben des Hausarztes, und liegt sie besonders in diesen und in kommenden Zeiten.
An dieser Stelle sei eine kleine Auswahl an Therapiemöglichkeiten des Schwindels genannt. Anspruch auf Vollständigkeit besteht genauso wenig, wie Anspruch auf Therapieerfolg:
Tabletten und Tropfen verschiedener Art, Spritzen, Infusionen, Massage, Krankengymnastik, Akupunktur, Zahnsanierung, Lagerungsmanöver, Ernährungsumstellung, Psychotherapie, operative Eingriffe verschiedener Art, von der Operation am Ohr bis hin zur Sanierung der Halsschlagadern. Die Naturheilkunde und die Homöopathie mit ihren speziellen Behandlungskonzepten kommen hinzu.
Zurückhaltung ist ratsam
Viele Ärzte und Therapeuten bieten die einzig wahre Lösung des Problems und das einzig wahre Behandlungskonzept. Wenige können zugeben, dass nicht für jedes Symptom eine Therapiemöglichkeit besteht. Auf der anderen Seite können nur wenige Patienten eine ehrliche Antwort des Arztes vertragen, wenn der früher oder später zugibt, dass eine Erfolg versprechende Therapie nicht existiert, oder wenn er auf der Psychosomatik des Symptoms besteht.
Beliebte Schrotschusstechnik
Eine komplette Diagnostik ist modern geworden, weil der Arzt mit ihr auf der sicheren Seite zu stehen scheint. Wer streuend schießt, landet irgendwann einen Treffer. Ein Arzt, der immer alles bis zum Letzten untersucht, muss sich nicht dem Vorwurf der fehlenden Gründlichkeit aussetzen. Aber mit Sorgfalt hat das nicht immer zu tun. Sorgfalt dem Patienten gegenüber berücksichtigt auch dessen Ängste, die oft durch bedeutungslose Untersuchungsergebnisse ausgelöst werden.
Bandscheibenvorwölbungen, minimale Herzklappenveränderungen, unbedeutende Gefäßverengungen- oder erweiterungen, ungefährliche Zysten in Leber oder Nieren, grenzwertig veränderte Blutwerte, all das sind Dinge, die Ärzten ein müdes Lächeln kosten, mit denen sich der Patient aber möglicherweise monate- und jahrelang herumplagt. Ein psychischer Schaden ist schnell gesetzt.
Wegweiser durch die Medizin
Für den Patienten den Pfad im Dschungel der Medizin zu finden, zwischen Schaden durch Überversorgung und Schaden durch Unterlassung, das ist die wahre ärztliche Kunst. Zur Ausübung und Erlangung dieser Kunst brauchen die Ärzte Verbündete. Der wichtigste Verbündete sollte der Patient sein. Der moderne Patient muss wissen, was er tut, wenn er auf einer hundertprozentige medizinische Versorgung besteht. Wer diese verlangt, bekommt sie womöglich auch, mit all ihren Folgen.
Wichtig ist, das in einem vertrauensvollen Patienten-Arzt-Verhältnis der Schluss zulässig ist: Wir warten ab. Möglicherweise mit wenig Untersuchung und ohne spezielle Therapie. Ein solches Fazit ist in diesen Zeiten bereits ungewöhnlich, in Zukunft wird es zur Rarität werden.